Überwältigender Donizetti - operalounge.de

02.02.2015

Das Gießener Stadttheater ist zu einem wahren Mekka für Belcanto-Fans geworden, woran nicht zuletzt der enthusiastische Opernentdecker  und GMD Florian Ziemen seinen großen Anteil hat – so ein spannendes Repertoire wie hier muss man woanders mit der Lupe suchen, und die neue Linda di Chamounix (am 31. Januar 2015) war keine Ausnahme – einfach toll! Drei Ausrufezeichen! Ziemen dirigierte die Oper schwungvoll und mit italienischem Elan, dazu die komplette Sinfonia, den starken Chor (Jan Hoffmann) und sein richtig süditalienisch klingendes Orchester, wo sich Italianità und Schmiss nur so überschlugen. Gute Laune eben. Eigentlich finde ich diese Semiserien gerne ein wenig lang (wie auch die Gazza ladra), aber an diesem Abend war´s absolut nicht so, und nach dem doch umfangreichen  Werk hätte ich gerne das Ganze noch einmal von Anfang gehört.

Auch gesehen! Bernhard Niechotz hatte eine interessante Bühne gebaut, nur scheinbar konservativ wie auch die schönen Kostüme, aber mit Biss. Vielleicht gab´s etwas zu viel Personal mit zu vielen Kindern auf der kleinen Bühne (deren Eltern im Publikum sicher auch am frenetischen Beifall Anteil hatten…). Ein Schrank zog sich in Hans Walter Richters Inszenierung als durchgehendes Motiv durch die Akte, in den sich die mimosige Linda verkroch, wenn´s ihr zu viel wurde. Auf- und Abgänge blieben vorhersehbar. Der zweite Akt spielte vor einem roten Vorhang mit 5 Kronleuchtern und einem Sofa, der dritte sah wie der erste aus, nur dass nun alles verwüstet und zertrümmert herumlag und durch die zerbrochene Decke der Schnee hereinrieselte. Die Optik dieses letzten Aktes wirkte wie eine Mischung aus Rosenkavalier-Beisl, Falstaff-Wirtshaus und Forza-Melitone-Szene (wenn der das kriegmüde Volk anpöbelt)… Recht surrealistisch, das Ganze.

Gesungen wurde vor allem von der Titelsängerin Naroa Intxausti (wie spricht man das aus?) wunderbar! Nochmals drei Ausrufezeichen! Sie besitzt eine runde, warme, nie scharfe Sopranstimme, schöne Höhen, einfach eine Wucht. Leonardo Ferrando ist Applaus-hörbar zum Lieblingstenor der Gießener avanciert, klingt ein wenig wie Florez, sieht auch so aus, allerdings von größerer Gestalt. Seine Inbrunst in der Rolle des Carlo, seine bombige, schöne Höhe und sein ganzes Engagement bleiben lange in Erinnerung – ein „scheener Mann“. Toll fand ich auch Papa Antonio, Cozmin Sime, ein junger, lyrischer Bariton mit edler Stimmfarbe und viel Italianità darin, vielversprechend – sein Duett mit dem väterlich-wohlwollenden Prefetto (Calin-Valentin Cozma, sehr gut) war der Höhepunkt des ersten Aktes und erinnerte mich an das Duett in den Puritani. Pierrotto war Sofia Pavone, anfangs etwas gaumig, aber dann doch frisch und frech. Michaela Wehrum machte einen guten Job aus Mutter Maddalena, und der sympathisch-extravagante Marquis des Tom Wendt machte Defizite der stimmlichen Eignung mit enormer Präsenz in einem markanten Rollenportrait wett. Vepkhia Tsiklauri ergänzte als Intendente del feudo (Gießens Ensemble ist wahrlich multi-national-namig). Der Regisseur scheint ein Faible für´s Männerstrippen zu haben, und manches Auge freute sich über die gutgebauten Herren Marquis, Papa Antonio und Liebhaber Carlo….leider nicht vollständig, was man bei den 3 gutaussehenden Mannsbildern sehr bedauern musste. Wenn schon, dann richtig! Aber hier galt´s ja “nur” der Kunst…

Fazit: Ein wirklich lohnender Abend in Gießen, mit einem flotten Dirigat, einer wirklich umwerfenden Orchester- und Chorleistung und einem Super-Ensemble. Wo, bitte, findet man das sonst?

A. H. Commert, operalounge.de