Ein naiver Musikant trifft auf einen ausgebufften Räuber. Beide erleben sie märchenhafte Abenteuer. Mit dem Stück »Schwanda, der Dudelsackpfeifer« zeigt das Stadttheater eine bunte Volksoper im emsigen Licht von Videoprojektionen.
Die gute Nachricht zuerst: Auf einem Dudelsack wird nicht gespielt. Das Instrument, das den Titel prägt, ist lediglich als fellbezogenes Musikantenutensil zu sehen. Ansonsten lässt Intendantin Cathérine Miville nichts unversucht, um Aufmerksamkeit für ihr neues Stück zu erlangen. Unter ihrer Regie feierte die Oper »Schwanda, der Dudelsackpfeifer« von Jaromír Weinberger am Samstag im Großen Haus des Stadttheaters Premiere.
Für die moderne Optik der drei Schauplätze – Schwandas Bauernhof, das Eisreich und die Unterwelt – zeichnet Bühnenbild- und Videokünstler Marc Jungreithmeier verantwortlich. Naturalistisch detailverliebt erstrahlt der Bauernhof, eisblau leuchtet das Reich der Königin und in grauen Farbstufen wird die Hölle auf unzähligen, in mehreren Schichten vom Schnürboden herabhängenden Kacheln bühnenkastenfüllend abgebildet. Im Wechselspiel der mal fragmentarischen, mal die Gesamtheit zeigenden Einblendungen entsteht ein Farbrausch. Ein Käfigkleid für die Eiskönigin, ein Hocker und ein über Stufen zu erreichendes Podest als Bühnenzentrum sind die weiteren Zutaten. Die schlichten, aber tonangebenden Kostüme hat Monika Gora ersonnen.
Aufgrund des dominanten Bühnenbilds bleiben Regisseurin Miville nicht viele Möglichkeiten, den Charakteren Raum zur Entfaltung zu geben. Ihre Protagonisten sitzen und stehen häufig herum oder schreiten hinter den Kacheln umher, umsäumt vom emsigen Leuchten der Videoprojektionen.
Im Graben spielt das Philharmonische Orchester Gießen unter der Leitung seines stellvertretenden Generalmusikdirektors Jan Hoffmann, der unter anderem mit einer »Teufelspolka« lockt, »die ein wenig nach Katzenmusik« klingt, wie der Dirigent im Vorfeld sagte. Hoffmann dreht im Tutti die Lautstärke seiner sicher aufspielenden Musiker zu weit auf. So wird etwa der Räuber Babinsky von der Musik übertönt.
Weinberger hat ein Sammelsurium an Stilen vereint. Fließt seine Komposition dahin, schimmert Smetanas »Moldau« durch, im zweiten Bild linst Puccini romantisch um die Ecke und »Hänsel und Gretel« (Humperdinck) lassen sich ebenfalls blicken. Das hat seine Reize, aber nichts davon bleibt in Erinnerung. Ein Ohrwurm? Fehlanzeige.
Stattdessen überrascht der Komponist in den Singstimmen mit abenteuerlichen Intervallsprüngen und verlangt dem Babinsky eine gewisse Sirenenhaftigkeit ab. Am innigsten klingt die Musik, wenn sie wie in der Unterwelt leise Spannung erzeugt oder im coolen Eisreich Empathie weckt. Das polyphone Aufschäumen des Sounds hingegen schmeckt wie Kaffee mit zu viel Milch – das Konzentrat geht flöten.
Zusammen mit seinem Textdichter Milos Kares und dem Kafka-Freund Max Brod, der nicht zuletzt für die deutsche Übersetzung zuständig war, schuf Weinberger eine überraschend handlungsarme Volksoper. Sie trat nach ihrer Prager Uraufführung 1927 einen Siegeszug um die Welt an, bis sie nach der antisemitischen Zäsur – Weinberger war Jude – durch den Nationalsozialismus von den Spielplänen verschwand.
Martin Berner in der Titelpartie überzeugt mit seinem druckvollen Bariton. Als Teufelskerl besticht nach der Pause der Bass Christian Tschelebiew. Das frühere Ensemblemitglied spielt und singt prächtig. Ihr Debüt am Stadttheater feiert Aleksandra Rybakova als Dorota. Sie gibt das brave Bauernmädchen mit glockenklarer Stimme. Mezzosopranistin Dilara Bastar singt sich als Eiskönigin in die Herzen des Publikums. Tilmann Unger mimt gekonnt den tolldreisten Räuber Babinsky, intoniert eindringlich, klingt aber etwas zu kehlig. Seungweon Ezio Lee ist ein solider Magier. Haustenor Clemens Kerschbaumer glänzt in gleich drei kleinen Rollen. Der Chor (Einstudierung: Hoffmann) brilliert gewohnt euphorisch.
Es wird viel getanzt in dieser Oper. Die Choreografien gestalten Streetdance-Expertin Inga Schneidt und Altmeister Anthony Taylor. Die Folklore behält die Oberhand, zudem darf sinnfrei, aber unterhaltend etwas gebreakdanced werden. Drei Solotänzer säumen die Bühne sowie die Volkstanzgruppe Garbenheim, der Volkstanzkreis Braunfels und Mitglieder der Spielvereinigung Blau-Weiß Gießen. Natürlich macht in einer Familienoper auch der Stadttheater-Juniorclub mit.
Am Ende kehrt Schwanda nach seiner Odyssee ins Reich der Eiskönigin und in die Unterwelt auf den Bauernhof zu seiner geliebten Dorota zurück. Langer Premierenapplaus für alle Beteiligten.
Manfred Merz, 26.03.2018, Gießener Allgemeine Zeitung