Die Szenerie: ein fiktiver Ort, markiert durch einen Lichtkegel. Die Beteiligten: eine Gruppe Jugendliche, die alle gleich gekleidet sind und sich nicht kennen. Aber sie erinnern sich alle, was sie vorher gemacht haben, bevor sie auf dieser Lichtinsel gelandet sind. Schnell stellen sie die Fragen: Warum sind wir hier? Und vor allem: Wie kommen wir wieder raus?
Auf einprägsame Weise zeigt der Jugendclub Spieltrieb in seinem neuesten, gemeinsam erarbeiteten Stück »Mensch entfalte Dich nicht«, wie eigenständiges Denken und ein aufmerksames Miteinander zu Lösungen führen können. Dass es nicht nur eine einzige Meinung und den einen Weg dahin gibt, man sich auch mal streiten darf, wird schnell klar. Aber für alle gibt es eine Grundlage: Das Grundgesetz, das die freiheitlichste Regelung formuliert, die es in Deutschland je gegeben hat. Klingt fast hochtrabend, wird am Ende auch in den ersten Paragrafen rezitiert, doch der Weg dahin ist anschaulich nachvollziehbar. Für Jung und Alt, für politisch-juristisch unbelastete Menschen, für diejenigen, die sich auskennen. Schlicht für alle.
Die erste Grenze ist der Rand eines Lichtkegels. Kann man, darf man diesen überschreiten? Was dann passiert, lässt sich nur durch Ausprobieren erfahren, also gehen sie gemeinsam darüber hinaus. Der nächste Raum ist zwar größer, aber die Türen bleiben verschlossen. Mit Nummern versehene Koffer und Kisten stehen herum, die mit Spannung geöffnet werden. Auch sie geben keine Lösung preis, stellen eher spielerisch immer neue Aufgaben. Das führt auch mal zu chaotisch lauten Szenen, die an Spielzimmersituationen erinnern. So sieht es im Anschluss auch aus. Doch zum Erstaunen so mancher Mutter im Publikum folgt ein gemeinsames Aufräumen, das in die Darstellung wunderbar integriert ist. Unter der Ansage »Freiheit ist für mich...« sagt jeder sein Hauptanliegen und legt Dinge in eine Schuhschachtel.
Die 21 Beteiligten sind konzentriert dabei und spielen doch natürlich, fast locker. Sie sind von zwölf bis 19 Jahren alt, umfassen damit eine in der Jugend gewaltige Altersspanne, die üblicherweise wohl nicht zusammen kommt. Es gibt keine Längen, die Dialoge folgen Schlag auf Schlag. Von Individualität und Ausgrenzung ist die Rede, von Freiheit und Regeln, und welche Arten von Grenzen es gibt. In schwungvollen Gruppenchoreografien wogt die Gruppe hin und her, driftet auseinander, trifft sich wieder in der Mitte. Dabei ist Rücksichtnahme und Disziplin zugleich gefragt, beides Verhaltensweisen, die heutzutage nicht mehr so angesagt zu sein scheinen. Am Ende taucht noch die bange Frage auf, wie frei unsere Entscheidungen eigentlich sind, ob nicht doch irgendeine Macht das lenkt.
Respekt ist den jungen Darstellern zu zollen, aber auch der Leiterin Tyjana Krumke und der Musikpädagogin Masae Nomura. Und am Ende überraschte Abdul M. Kunze, Gesamtleiter der Jugendsparte am Stadttheater, noch mit einer Besonderheit dieser Freitagspremiere: Krumke war seit der Gründung des Jugendclub Spieltriebs vor 16 Jahren immer wieder dabei, hat darüber viele Stücke und Regiestile kennengelernt, und nun ihre erste eigene theaterpädagogische Arbeit gemacht. Begeisterter Applaus im voll besetzten taT.
Dagmar Klein, 27.04.2018, Gießener Allgemeine Zeitung