Es ist wieder Hauptsaison im Gasthof „Zum Weißen Rössl“. Die ersten Gäste werden erwartet, doch Zahlkellner Leopold hat ein großes Problem: Er ist verliebt – ausgerechnet in seine Chefin, die resolute Wirtin Josepha Vogelhuber. Ob die beiden ein Paar werden und was sonst noch alles in der Sommerfrische am Wolfgangsee geschieht, sehen die Besucher im Operettenklassiker „Im Weißen Rössl“ von Ralph Benatzky, der am Samstagabend im Stadttheater vor vollem Haus Premiere hatte. Geboten werden drei Stunden unbeschwerte Unterhaltung.
Könner am Werk
Die Aufführung, die am Premierenabend von herzhaftem Gelächter begleitet, immer wieder von Zwischenapplaus unterbrochen und am Ende einhellig mit minutenlangem Beifall und Jubel gefeiert wurde, zeigt vor allem eins: dass nämlich die Berliner Erfolgsoperette der Weimarer Republik mit ihrem Witz, ihrem Esprit und ihren hinreißenden Melodien auch 85 Jahre nach ihrer Uraufführung noch zündet. Man muss nur die richtigen Leute ranlassen! Und die sind hier am Werk.
Regisseur Thomas Goritzki und Operettenspezialist Florian Ziemen am Dirigentenpult lassen das Rössl munter galoppieren und treffen dabei genau die schwierige Balance, damit Walzerseligkeit und Situationskomik nicht überschwappen in Gefühlsduselei und billige Knalleffekte. Das vermeintlich Leichte in der Kunst ist ja bekanntlich das Schwerste, doch bei diesen Beiden ist das Werk in besten Händen. Sie ergänzen sich auf so glückliche Weise, dass sowohl im Bühnengeschehen als auch in der Musik stets eine feine Ironie durchscheint und es nie oberflächlich und platt wird.
Und dann dieses prachtvolle, quicklebendige, urkomische Ensemble, das dem Affen (pardon: Rössl) ordentlich Zucker gibt. Hier dürfen Sänger und Schauspieler zeigen, welche Erzkomödianten sie sind – und das Publikum lacht sich kugelig. Zum stimmungsvollen Gesamtbild tragen natürlich auch die alpenländisch gekleideten Mitglieder des Chores, die Chorkinder und die drei Paare der Tanzcompagnie mit ihren Darbietungen bei.
Frech und flott
Gespielt wird in der erst vor wenigen Jahren wieder aufgefundenen Originalfassung von 1930, die um einiges frecher und satirischer daherkommt als die biedere, kreuzbrave Nachkriegsversion. Unter Ziemens inspirierendem, schwungvollem Dirigat äußert sich das Vitale dieser Partitur, ihre Lust am Grotesken. Die Tanzrhythmen schießen in die Beine. Bezaubernde Walzermelodien treffen auf Berliner Jazz und Revue, und Ohrwürmer wie „Im Weißen Rössl am Wolfgangsee“, „Die ganze Welt ist himmelblau“ und „Mein Liebeslied muss ein Walzer sein“ beißen sich fest. In der 32-köpfigen Combo des Philharmonischen Orchesters Gießen sind immer wieder swingende Saxofone herauszuhören, und für das alpenländische Kolorit ist als musikalischer Überraschungsgast ein Zitherspieler zuständig, der in der Seitenloge Platz genommen hat. Er trägt natürlich Krachlederne und einen Hut mit Gamsbart.
Bühnen- und Kostümbildner Heiko Mönnich taucht die turbulente Gesellschaft der Sommerfrischler in eine luftig-leichte Spielatmosphäre. Man sieht rundum das malerische Bergpanorama des Salzkammerguts, in das die Kulisse des Gasthofs dezent eingepasst ist. Ein paar weiße Gartentische und -stühle machen das Bild komplett.
Der liebestolle Zahlkellner Leopold, als der einst Peter Alexander in der Filmversion von 1960 brillierte, ist eine Paraderolle, wie sie sich ein Sänger nur wünschen kann. Haus-Bariton Tomi Wendt, der seine komödiantischen Qualitäten schon oft unter Beweis gestellt hat, lässt sich diese Gelegenheit nicht entgehen. Als Leopold darf er ruppig und charmant sein, darf granteln, a bisserl leiden – und sich in die Herzen der Zuschauer spielen und singen. Und wenn er mit Schmelz und Herz den Operettenschlager „Es muss was Wunderbares sein, von dir geliebt zu werden“ singt, dann zahlt das Publikum dem Zahlkellner sofort mit reichem Beifall zurück.
Die musicalerfahrene Judith Peres spielt die angebetete Rösslwirtin, die ihren Zahlkellner abblitzen lässt, weil sie zunächst ganz andere Sachen im Sinn hat. Man nimmt ihr die gestandene Frau mit Realitäts- und Geschäftssinn auf Anhieb ab.
Als schöner Sigismund, der sich selbst für sein schönstes Mannequin hält, bringt Pascal Thomas vor allem die Damenwelt zum Kreischen. Bei seinem frech-frivolen Hit „Was kann der Sigismund dafür…“ bleibt kein Auge trocken. Pascal Thomas und Anne-Elise Minetti als lispelndes Klärchen sind zusammen ein unschlagbar komisches Pärchen. Zudem zeigen die beiden Schauspieler erneut, dass sie famos singen können.
Schlagfertig und witzig berlinert sich Jan-Christof Kick als Berliner Trikotagenfabrikant Wilhellm Giesecke („vorne geknöppt“) durch sein Bergabenteuer, während sich Töchterchen Ottlie (Naroa Intxausti) Hals über Kopf in den von Ricardo Frenzel Baudisch gespielten Anwalt Dr. Siedler verliebt. Und wo besingen sie ihre Liebe? Im Kuhstall zwischen Milchkannen und klatschenden Kuhfladen.
Auch Maximilian Schmidt ist als Piccolo stets zur Stelle, wenn es was zu lachen gibt. Elisabeth Halikiopoulos jodelt als Briefträgerin Kathi mit Inbrunst, und Markus Rührer philosophiert als weltfremder Professor Hinzelmann über die Urlaubszeit. Einen Kaiser Franz Josef wie aus dem Bilderbuch verkörpert Harald Pfeiffer, dessen Worten man sich bei der Gesamtbeurteilung dieser Inszenierung nur anschließen kann: „Es war sehr schön. Es hat mich sehr gefreut!“
Thomas Schmitz-Albohn, 02.11.2015, Gießener Anzeiger