#»Eine schwere Komödie, weil sie scheinbar leicht ist« nennt Friedrich Dürrenmatt seinen »Romulus der Große«. Regisseurin Astrid Jacob lässt sich davon nicht abschrecken und inszeniert das Stück am Stadttheater als Groteske mit Tiefgang. Anschauen und vor allem Hinhören sind dringend zu empfehlen.
Hühnergegacker hört man im Theater nur selten. Und auch am Hof des römischen Kaisers dürfte solcherlei Lärm unüblich gewesen sein. Doch bei Dürrenmatts Kaiser »Romulus der Große« ist das Programm, denn der will nur seinem Hobby nachgehen und durch politisches Nichtstun das RömerImperium auslöschen. Er propagiert Hühnerzucht statt Heldentum. Schließlich habe sich Rom selbst verraten, so das Urteil des selbsternannten Richters: »Es kannte die Menschlichkeit, aber es wählte die Tyrannei.«
Einer von vielen Sätzen an diesem ausverkauften Premierenabend, die bei allem vordergründigen Spaß unter die Haut gehen. Denn Dürrenmatt hat sein Theaterstück 1949 geschrieben. Das arische Überlegenheitsgetue der Nationalsozialisten, ihre menschenverachtenden Gräueltaten – sie schwingen mit in dieser »ungeschichtlich historischen Komödie«, ohne dass sie auch nur einmal explizit benannt werden. Und gleichzeitig lassen sich Parallelen zum Heute ziehen, wo falsch verstandener Patriotismus und Fremdenfeindlichkeit wieder Konjunktur haben.
Astrid Jacob hat als ehemalige Kabarettistin der Lach- und Schießgesellschaft gelernt, Komik und politische Scharfzüngigkeit zu verbinden. Sie inszeniert »Romulus der Große«, in der von Dürrenmatt 1980 modifizierten Fassung, in tiefer Verneigung vor der Klugheit des Dichters und seinem Sprachwitz, ohne dabei das Groteske und das Klamaukige aus dem Auge zu verlieren.
Das eher karg-verlottert wirkende Bühnenbild und die überspitzten Kostüme hat Thomas Döll nach einer Idee von Monika Gora entworfen: als wilde Mischung aus den typischen Erkennungszeichen der Antike wie Büste und Römerhelm, abgehalftertem Wochenendhausmobiliar und voller Anspielungen auf Typen der Gegenwart. Harald Pfeiffer treibt als Kunsthändler Apollyon in Karl-Lagerfeld-Pose den materiellen Ausverkauf des Römischen Reiches voran und aus dem geschäftstüchtigen Hosenfabrikanten Cäsar Rupf macht Tom Wild eine köstliche Parodie auf den neuen US-Präsidenten Donald Trump. Unter dem Motto »die Kunst des Primitiven ist Trump« stellt er den Kaiser erfolglos vor die Wahl zwischen einem »katastrophalen Kapitalismus« oder einer »kapitalen Katastrophe«.
Zwischen Sonnenstühlen und Romulusbüste flötzt sich Roman Kurtz als Kaiser Romulus in Bademantel und Adiletten auf seinem Schiedsrichterstuhl und lässt sich von seinen Hühnern mit kaiserlichen Namen gelegte Eier servieren. Der Hofstaat dieses »Cäsars der Hühner und Stratege des Eierlegens«, den Kurtz so treffend spielt, ist ein Käfig voller Narren. Das Panoptikum reicht vom versoffenen Kriegsminister (komisch: Jan-Christoph Kick) über den troddeligen Innenminister mit Buchhaltercharme (schön lächerlich: Rainer Hustedt) bis zu zwei säulengleichen Kammerdienern (herrlich grotesk: Beatrice Boca und Tom Wild). Kaiserin Julia (kraftvoll: Kyra Lippler) wirkt wie die Inkarnation einer First Lady, Tochter Rea (Marlene-Sophie Haagen) könnte auch als BDM-Mädel durchgehen und ihr Bräutigam Ämilian (Lukas Goldbach) ist ein von der germanischen Folter gebrandmarkter Fanatiker. Sebastian Songins sportlicher Reiterpräfekt ist von vielen Pfeilen durchbohrt und Pascal Thomas ein oströmischer Kaiser voller Grandezza.
Und dennoch bleibt in all dem unterhaltsamen Tohuwabohu Raum für kluge Worte wie »Wer einen großen Skandal verheimlichen will, inszeniert am besten einen kleinen« oder »Vaterland nennt sich der Staat immer dann, wenn er sich anschickt, auf Menschenmord auszugehen«. Jacob ist daran gelegen, die »Essenz des Stücks« als Parabel auf die Welt heraus zu kitzeln. Es ist die Einsicht, dass die Bürger dem Staat scharf auf die Finger sehen müssen. Es ist aber auch die Erkenntnis, dass Dürrenmatt mit seiner Idee »Der Weltgeschichte kommt man nur mit Komödien bei« Recht hatte. Es war höchste Zeit, seinen »Romulus der Große« dem Vergessen zu entreißen. Ein Glück, dass das Stadttheater Gießen dies getan hat.
Karola Schepp, 14.11.2016, Gießener Allgemeine Zeitung