"Himmlische Klänge" lassen Sopranist Samuel Mariño und Pianist Evgeni Ganev im Stadttheater erklingen. Das Publikum honoriert den bezaubernden Abend mit Standing Ovations.
Breit gefächert das Programm, facettenreich die Darbietung: Für einen bezaubernden Abend sorgte am Freitag ein Duo, im Großen Haus des Stadttheaters in dieser Konstellation wahrlich exquisit: Der Sopranist Samuel Mariño hat hier seine Fans, war doch der Musentempel für einen Liederabend ausnehmend gut besucht. Die Literatur reichte vom Barock (Purcell, Dowland, Händel) über Mozart und Rossini sowie Bizet und Bellini bis zu Richard Strauss und Carl Orff. Dass Evgeni Ganev, Solorepetitor am Hause, und der Sänger bereits ein eingespieltes Team sind und der Pianist überdies als Solist beeindrucken kann, bestätigte das Publikum mit kennerisch abgestuftem Beifall. So fesselte Ganevs pathosgeladene Interpretation von Sergej Rachmaninoffs Elegie op. 3 Nr. 1. Aufhorchen ließ auch seine verhaltene Darbietung von Johann Sebastian Bachs Air aus der Suite Nr.3 D-Dur in Silotis Bearbeitung.
Begabung und Schulung
Samuel Mariño ist mehrfacher Preisträger bei europäischen Gesangswettbewerben und reiht sich als "Nachwuchs" in die inzwischen stattliche Reihe hoher Männerstimmen (ohne Falsett) ein, die mit Jochen Kowalski aus der exotischen Ecke herausgetreten sind. In der Folge-Generation hat sich in der Counterszene Wundersames getan. Was im 18. Jahrhundert bei den "Engelsstimmen" noch mit Kastration verbunden war, ist heutzutage das schöne Ergebnis von Begabung und spezieller Schulung auf der Basis physiologischer Voraussetzungen. Wenn so ein Stimmband-Künstler dann nicht nur mit "himmlischen Klängen", sondern auch mit körperlicher Beweglichkeit, Mimik und publikumsnaher Kommunikation auftritt wie der sympathische 26-jährige Sänger aus Venezuela, dann ist nachhaltiges Erlebnis garantiert. Seine hohe künstlerische Präsenz konnte ein bisschen Glamour-Optik nicht übertönen: Glitzerschuhe und Hosen in mystischem Blaumetallic, nach der Pause Glitzer auf dem Beinkleid in schwarzweißem Mega-Hahnentrittmuster.
Die Auswahl der Stücke spiegelte Entwicklungsspielraum des jungen Sängers. Henry Purcells Song "Sweeter than Roses" gab einen Vorgeschmack der Palette, die Mariño in der kontrastreichen Abfolge der Lieder und Arien bot. Dass dabei Händel mit seinen expressiven Opernarien im Fokus stand, versteht sich, hat er doch seinerzeit für Stars wie Caffarelli und Carestini komponiert. Mariño ist überdies mit dem von ihm gegründeten Ensemble Teseo nachgewiesen barock-affin.
Lyrisches Timbre ergreift Hörer
Mit einem Mozart-Abend hatte sich der Sopranist im Vorjahr bereits eingeführt, und jetzt gefiel er u.a. in "Voi avete un cor fedele" mit perfekt sitzenden Koloraturen. In Cherubinos "Voi che sapete" aus Mozarts "Nozze di Figaro" vermittelte er auch stimmlich das Knabenhafte der Figur. Das französische Fach und der Verismo wurden gestreift. Durchgestaltete Mittellage, gehauchtes Pianissimo auch in höchsten Lagen ebenso wie stählern glänzende Forte-Spitzentöne gaben die persönliche Note.
Beeindrucken konnte die Konzentration beim stilistischen Sprung von Bellini zu Strauss: Nach der intensiv bis zum Kniefall präsentierten Romeo-Arie "Tu sola o mia Giulietta" wagte sich der Sopranist an das Lied "Morgen" op. 27 Nr. 4, das Strauss 1894 komponiert hat und Mariño mit Innigkeit sang. In dem zart-verträumt intonierten "In trutina" aus Carl Orffs Carmina burana ergriff er mit lyrischem Timbre seine Hörer. Als Rossinis Semiramide setzte der Sänger mit "Bel raggio lusinghier" dann ein Feuerwerk an Trillern und machtvoll ausgesungenen Höhen an den Schluss. Da durfte als Zugabe die "Stille Nacht" nicht fehlen. Standing Ovations!
Olga Lappo-Danilewski, 23.12.2019, Gießener Allgemeine Zeitung