Eklat im Stadttheater: Beim Sinfoniekonzert stört ein Zwischenrufer das Geschehen. Ansonsten steht der Abend im Zeichen einer munteren Dreiecksbeziehung.
Halten Sie doch die Klappe!«, ruft ein erboster Konzertbesucher. Vor dem Orchester auf der Bühne steht in diesem Moment Clara Schumann, respektive Schauspielerin Carolin Weber in der Rolle der Pianistin, und ist erst einmal perplex. Eine Schimpftirade ergießt sich über die Ak- trice und macht den Eklat im Stadttheater perfekt. Der Erboste verlangt in seiner Hyperventilation nach ungetrübtem Konzertgenuss und hält es für eine Frechheit, mitten in einem Musikstück, genauer: vor dem dritten Satz von Robert Schumanns 2. Sinfonie, einen Brief vorlesen zu wollen. Das Publikum fordert den Mann auf, zu gehen. Türenknallend verlässt er den Raum.
Weber sortiert sich und liest danach unter dem Applaus des ausverkauften Großen Hauses weiter aus dem Briefwechsel einer klassischen Dreiecksbeziehung vor. Aus dem von Clara und Robert Schumann mit Johannes Brahms. Dank des Zwischenrufers klingt die Geschichte nun noch etwas mehr nach TV-Reality-Soap.
Clara Wieck (1819-1896) lernt als Kind den neun Jahre älteren Robert Schumann (1810-1856) kennen. Das Mädchen zeigt großes Talent als Pianistin. Claras Vater, der einflussreiche Musikpädagoge Friedrich Wieck, will eine Liaison mit dem leidlich erfolgreichen Schumann verhindern. 1837 verloben sich die beiden dennoch. 1840 erzwingt das Paar vor Gericht die Ehe gegen den Willen des Vaters. Robert fällt fortan immer wieder wegen Depressionen auf, zeugt mit Clara indes acht Kinder, ehe das Paar 1853 Johannes Brahms (1833-1897) kennenlernt. Robert fördert den jungen Tondichter, der huldigt dem bewunderten Kollegen und verknallt sich in die 14 Jahre ältere Clara. Details zu einer möglichen Affäre existieren nicht. Robert Schumann erkrankt schwer und stirbt in einer Nervenheilanstalt. Brahms wird zu Claras Vertrautem…
Weber liest kunstvoll, ohne Pathos, in kurzen Auszügen aus den innigen Briefen der drei Protagonisten. Das Philharmonische Orchester Gießen interpretiert dazu romantische Werke der Komponisten. Der Auswahl jedoch mangelt es an Tiefgang. Das liegt nicht an Dirigent Andreas Kowalewitz, auch wenn der Kapellmeister aus München im Stadttheater eher für die leichte Muse zuständig ist.
Am Dienstag dirigiert er punktgenau und mit Elan das Programm, das noch der ehemalige Generalmusikdirektor Michael Hofstetter zusammengestellt hat. Pianist William Youn, in Fachkreisen als führender Chopin- und Mozart-Experte anerkannt, spielt darin die Hauptrolle: das Klavierkonzert von Clara Schumann in a-Moll, das sie im Alter von 16 Jahren vollendete.
Youn arbeitet als bekennender Bechstein-Virtuose am Steinway die pulsierenden Passagen effektvoll heraus. Der Koreaner hat die von Clara Schumann geliebten Oktavparallelen sicher im Griff. Er verfügt über hohe Sensibilität bei gleichzeitigem Nuancenreichtum in einer perfektionierten Anschlagstechnik. Das Orchester ergänzt akkurat. Donnernder Applaus vom Publikum. Als Zugabe kitzelt Youn die »Widmung« von Robert Schumann in der Bearbeitung von Franz Liszt aus dem Flügel.
Die »Haydn-Variationen« von Brahms wirken dagegen wie orchestrale Fingerübungen - Brahms stellt hier die Melodie eines Chorals in acht Variationen nebeneinander. Auch Robert Schumanns 2. Sinfonie verfügt bis auf das Adagio, den anrührenden dritten Satz, über wenig Substanz, aber reichlich Glamour. Was im Zeichen einer Soap ja durchaus angebracht ist.
Manfred Merz, 30.01.2020, Gießener Allgemeine Zeitung