Verstörendes Video-Material, Pornofilme, Fetischkostüme, radikalfeministische Parolen - »Happiness is a warm gun« ist in der taT-Studiobühne nichts für zarte Gemüter. Aber kein Wunder: Die Vorlage der SKART-Uraufführung ist Valerie Solanas legendäres »SCUM«-Manifesto.
Eines vorweg: Wer nicht zusehen will, wenn einer Frau die Vagina zugenäht wird, oder sich bei Videoeinspielungen aus Schmuddel-Pornos unwohl fühlt, der sollte »Happiness is a warm gun« in der taT-Studiobühne besser nicht anschauen. Denn die einst am Theaterwissenschaftlichen Institut der JLU gegründete Performancegruppe SKART setzt dort den radikalfeministischen Wutausbruch »SCUM«-Manifesto von Valerie Solanas mit drastischen Bildern in Szene.
Solanas ist als die Frau, die 1968 auf Andy Warhol schoss, bekannt geworden: Ihr von Männerhass und schwarzhumoriger Polemik, aber auch messerscharfer Analyse patriarchaler Strukturen strotzender Text ist Pflichtlektüre der Feministinnen. Während Warhol durch das Attentat endgültig zur Berühmtheit wurde, landete Solanas im gesellschaftlichen Abseits, in der Psychiatrie und der Obdachlosigkeit.
»SCUM«-Manifesto liefert schon allein vor diesem Hintergrund ordentlich Sprengstoff in der Arena des Geschlechterkampfes. SKART, das im Kern aus den beiden Männern Mark Schröppel und Philipp Karau besteht (auch das nicht ohne Brisanz für die Inszenierung), konfrontiert Textpassagen aus »SCUM« mit einer Bilderwelt voller Symbolik, die allerdings den Vorwurf von Effekthascherei nicht ganz von der Hand weisen kann. Der Grausamkeit der Frauenrealität und der Radikalität der Solanas-Thesen setzt SKART mit dieser herausfordernden Provokation noch einen drauf. Doch dabei geraten die durchaus berechtigt zu stellenden Fragen ein wenig ins Hintertreffen: Bestehen die alten Machtstrukturen auch heute noch? Wie zeitlos ist Solanas Polemik? Gibt es überhaupt einen Ausweg aus der Misere? Diese Überlegungen stehen im Raum, eine Antwort bleibt aus.
Paula Schrötter und Pascal Thomas, anfangs mit riesigen Katzenköpfen und auf einem Meer von im Grunde frauenverachtenden Modemagazinen stehend, imitieren die künstlich unterfordert gehaltenen Hausfrauchen amerikanischer Vorstädte in den Sechzigern. Kinder, Küche, Kirche bestimmen ihren Alltag - und sie machen das Spiel mit. Auch sie trifft Solanas Zorn, denn sie argumentiert nicht nur gegen Männer als angeblichen »Gendefekt« und biologische Katastrophe, sondern auch gegen jene Weibchen, die dieses patriarchale System unterstützen. Kein Wunder, dass »Daddy’s Tochter« eines Tages in Frischhaltefolie gewickelt wie ein Spanferkel über dem Lagerfeuer brutzelt.
Aber auch die sexuelle Befreiung, so Solanas These, hat durch die Sexualisierung der Gesellschaft Frauen nur in neue Machtstrukturen verstrickt. SKART zeigen das mit auf eine weiße Hüpfburg projizierten Porno- sequenzen, in denen die Frau als Objekt männlicher Triebhaftigkeit herhalten muss. Quälend lange Minuten lang läuft zudem eine Videoeinspielung aus dem Experimentalfilm »The sewing circle« von 1992, in der das Publikum, teils in Großaufnahme, zusieht, wie sich eine Frau ihre Vagina zunähen lässt. Eine Art der radikalen Verweigerung, aber auch ein Akt der Selbstverstümmelung, der sprachlos macht, wie der wortlose Auftritt der Frauen des Chors Avanti Dilettanti im Anschluss nahelegt.
Und dann steigert sich die Uraufführung in ein furioses Finale. Schrötter und Thomas tragen Fetischganzkörperkostüme aus rotem und schwarzem Lack, schreien vom Dach der Hüpfburg - leider im Tumult nur schwer verständliche - »SCUM«-Parolen: Der Mann sei ein »Gendefekt« und wisse, dass er im Grunde ein »wertloser Misthaufen« sei. Männer müssten mit Vergasen vernichtet werden und Frauen endlich an die Macht kommen. Alles ist im Ansatz zwar nachvollziehbar, aber in der von Solanas propagierten Extrem-Konsequenz nahezu unerträglich, so wie auch die Autorin mit ihren Schüssen auf Warhol definitiv zu weit gegangen ist. Frauen sind eben ganz gewiss nicht die besseren Menschen. Männer aber auch nicht.
»Happiness is a warm gun« ist der Theaterabend in Anspielung auf einen Beatles-Song aus dem Jahr 1968, aber auch auf Solanas Warhol-Attentat im gleichen Jahr, betitelt. Und so wie eine »warm gun« garantiert nicht der Schlüssel für eine bessere Welt sein kann, so ist auch Solanas Abschaum, das ist nämlich die Übersetzung für »SCUM« (alternativ: Akronym für »Society for Cutting Up Men«, zu deutsch Gesellschaft zur Zerstückelung von Männern), kein Allheilmittel.
Das Publikum - eine ungewöhnliche Mischung aus Zeitzeugen der 68er-Revolte und jungen Theaterwissenschaftlern - ist nach 75 durchaus verstörenden Minuten offensichtlich begeistert und irritiert zugleich. Für SKART gibt es viel Applaus und noch mehr für die beiden Schauspielenden, die den Parforceritt mit Würde gemeistert haben.
Karola Schepp, 14.09.2019, Gießener Allgemeine Zeitung