Siebtes Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Gießen / Solist Kirill Troussov bleibt hinter Erwartungen zurück
Und weiter ging es im romantischen Repertoire: Auch das siebte Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Gießen in der aktuellen Reihe wandte sich der Musik der deutschen Romantik zu. Ging es im Konzert zuvor um den Kreis um Robert Schumann, standen diesmal Weber, Mendelssohn und Wagner auf dem Programm. Am Pult stand diesmal Florian Ludwig, der damit einmal mehr Publikum und Orchester auf seine bevorstehende Zeit als Generalmusikdirektor des Hauses einstimmte, eine Position, die er von der kommenden Spielzeit an für zwei Jahre wahrnehmen wird.
Eröffnet wurde der Abend mit Carl Maria von Webers Ouvertüre zur Oper „Der Freischütz“ – dieses ungeheuer bekannte Stück verfehlte auch diesmal seine Wirkung nicht: Geradezu unmittelbar ziehen einen die mal düsteren, mal naturhaften Klänge der Einleitung in die romantische Zwielichtsphäre einer bedrohlich-verlockenden Gegenwelt. Ludwig gestaltete das mit großer Ruhe, bevor er den unruhig rasenden Synkopen des raschen Teils Raum gab, um schließlich Agathes und Maxens Freude ziemlich ungehemmt zu feiern. Das machte durchaus Lust auf eine Fortsetzung (nämlich in Gestalt der eigentlichen Oper). Was gut gelang, waren Klangfarbenmischungen, die ja so wichtig für den Effekt des Stückes sind, Präzision und vor allem die leisen Töne waren nicht die Stärke der Interpretation.
Verblüffenderweise bedeutete das folgende Stück genau das Gegenteil von Oper, obwohl die Komposition von Richard Wagner stammt. Tatsächlich hat sich der nicht einmal 20-Jährige 1832 mit einigem Erfolg mit einer Sinfonie in C-Dur dem Publikum vorgestellt – gespielt wurde das Werk nicht nur in Riga, sondern sogar im berühmten Leipziger Gewandhaus. Das große Vorbild Beethovens ist unüberhörbar – man merkt aber auch, warum sich andere Komponisten wie etwa Schumann an diese Herausforderung – nämlich nach Beethoven noch Sinfonien zu schreiben – nur vorsichtig heranwagten. Denn was Wagner gelungen ist, sind eher Momente als Zusammenhänge, man muss also auf die schönen Stellen hören. Nicht immer blieb klar, ob der Eindruck des Zerrissenen, des stellenweise sonderbar auf der Stelle Tretenden, der Interpretation Ludwigs geschuldet war oder ob das nicht (etwa in der erratischen Einleitung) doch stark in den Noten steckt. Das Scherzo kam erst zögernd in Fluss, den langsamen Satz hätte man sich elegischer, freier und weniger kleinteilig vorstellen können. Ganz sattelfest saß der Notentext bei den Musikern nicht, unter der Unsicherheit gegenüber der teils anspruchsvoll polyphonen Struktur litten auch hier besonders die leisen Passagen. Der Finalsatz aber geriet rasant bis hin zur fulminanten Schlusssteigerung.
Nach der Pause gab es Musik von Felix Mendelssohn, zunächst die durch eine Schottlandreise und die Lektüre von (gefälschter, wie man längst weiß) Bardendichtung inspirierte Konzertouvertüre „Die Hebriden“ – da war der Komponist übrigens auch erst 21 Jahre alt. Das Stück lief von selbst, vielleicht nicht originell interpretiert, aber die Klangfarbenzaubereien Mendelssohns funktionierten, auch wenn mitunter die Streicher etwas vordergründig waren.
An den Schluss stellte das Programm untypischerweise ein Solokonzert, nämlich Mendelssohns berühmtes Violinkonzert. Das Kalkül ging auf, der Geiger, Kirill Troussov, konnte nicht zuletzt dank seiner histrionischen Ader das Publikum für sich begeistern. Man muss aber sagen, dass er als Solist deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist. Insgesamt möchte man sein Spiel nicht gerade sensibel nennen, aber ein robuster Zugriff mag dem Stück vielleicht prinzipiell neue Seiten abgewinnen. Indes wurde die Solidität des Spiels zu wenig durch Nuancierungen ausgeglichen. Im zweiten Satz entglitt Troussov gar kurz die Kontrolle, wie es ihm überhaupt – und wirklich unerwartet – an technischer Souveränität fehlte. Auch der dritte Satz entwickelte so keine spielerische Leichtigkeit, da halfen Troussov auch seine großen Spielgesten nicht.
Karsten Mackensen, 27.02.2020, Gießener Anzeiger