Vom ersten Ton an auf höchstem Niveau: Jazzgitarrist Philip Catherine zusammen mit der HR-Bigband im Stadttheater
Unprätentiöses Auftreten, routiniert-bescheidenes Understatement, ein paar schräge Witze und Anekdoten auf eigene Kosten, die charakteristische Handbewegung, die die immer noch langen Haare aus der Stirn wischt – vor allem aber der unverwechselbar leichtfüßige Archtop-Sound der Gitarre: Philip Catherines Konzert mit der HR-Bigband am Donnerstagabend im Gießener Stadttheater zeigte den berühmten Jazzer auf der Höhe seines Könnens.
Einmal mehr hatte er sich mit Bert Joris zusammengetan, dem belgischen Flügelhornisten, mit dem gemeinsam er im Laufe seiner langen Karriere schon viele Projekte und Konzerte realisiert hat. Um es kurz zu machen: Eine bessere Kombination als diese beiden hervorragenden Musiker, Komponisten und Arrangeure im Zusammenspiel mit der technisch und musikalisch brillanten HR-Bigband ist kaum vorstellbar.
Wenn man die Platte hört, die dem Konzert zugrunde lag, nämlich „Meeting Colours“, auf den Markt gebracht bereits 2005, ist man vielleicht noch etwas skeptisch, was das Energielevel, was die Spannung betrifft, die einen da live erwarten könnten. Die zehn Titel des Albums (die auch die Playlist des Abends bildeten) zeigen Catherine als Komponisten, während der Solist etwas in den Hintergrund tritt. Das Ungewöhnliche der Scheibe war und ist die Idee einer Fusion der klassischen Jazzgitarre mit der breiten Palette der Klangfarben der Bigband vom knallig-grandiosen bis hin zum seidig-smoothen Sound. Die vielschichtigen, raffinierten und teils hochkomplexen Arrangements dieser Kompositionen übernahm für die damalige Einspielung mit dem Brussels Jazz Orchestra Bert Joris (der natürlich auch Solotrompete spielte). Und selbstredend gab es Soli von hoher Qualität – insgesamt wirken die aber ziemlich kultiviert, bei aller Durchdachtheit ein bisschen zurückhaltend in ihrer Impulsivität, wie man sie von den Auftritten der Musiker sonst kennt.
Mit „On the Ground“ ging es am Donnerstag auch eher vorsichtig und mainstreamig los, wenngleich vom ersten Ton an auf höchstem Niveau, was die Bläsersätze, was Timing, was Präzision betraf. Aber dann gestatteten die beiden Solisten sich und ihrem Orchester doch die notwendigen Freiräume, um aus den teils sehr kunstvollen Kompositionen heraus ihre musikalische Inventions- und Ausdruckskraft in der Improvisation zu entfalten.
Nahtlos verschmolzen
Dabei war immer wieder verblüffend, wie nahtlos nicht nur Bigband und Gitarre verschmolzen, sondern wie sich auch die verschiedenen Sound-Ebenen zu immer neuen klangfarblichen Gestalten und Abschattungen fügten – Joris ist ein regelrechter Zauberer solcher Arrangements, die völlig organische Übergänge zwischen unterschiedlichsten musikalischen Aggregatzuständen schaffen. Gute Beispiele hierfür sind „Happy Tears“ mit seinem polyphonen Holzbläsersatz, mit seinem melancholisch-lakonischen Beginn und seinem fröhlich-ausgelassen swingenden Hauptteil, oder auch die entfernt impressionistischen Farben von „Yellow Landscape“. Immer wieder baute die Musik Bögen, die sich zwischen intimster Minimalbesetzung in der Rhythmusgruppe und dem ganz großen, raumsprengenden Tutti aufspannten.
Richtig zur Sache ging es unter anderem in „Piano Groove“ – dem man tatsächlich anzuhören meint, was Catherine erzählte, nämlich dass er es am Klavier komponiert hat und nicht auf der Gitarre. Bei aller Kunstfertigkeit und Vielfalt blieb er in seinem Spiel aber immer kultiviert und klangschön, er gestattete es sich sozusagen nicht, den Kopf zu verlieren. Joris gab sich da wilder, brillant, extrem virtuos und rasant, in allerbester Fortführung einer Tradition, die man mit dem Namen Chet Baker verbinden kann. Das passt natürlich in jeder Hinsicht, schließlich haben Catherine und Baker zusammen sechs Alben aufgenommen – und Joris gastierte 2018 in Gießen mit einer erstklassigen Baker-Hommage.
Ähnlich dynamisch, ja ekstatisch geriet „Francis’ Delight“, und zwar nicht zuletzt dank des Saxofonsolos von Tony Lakatos, der vom Publikum mit brausendem Einzelapplaus gefeiert wurde. Überhaupt gab es jede Menge hochkarätige Einlagen der Bandmusiker, die man hier leider gar nicht alle aufzählen kann. Aus persönlicher Vorliebe (und weil es einfach so erstklassig war), sei auf die Improvisationen von Hans Glawischnig am Bass hingewiesen. Ganz in die Sphäre des Jazzclubs zu später Stunde führte abschließend noch einmal die Zugabe, eine gefühlige Version von Richie Beirachs „Broken Wing“ in kleinster Besetzung.
Karsten Mackensen, 12.10.2019, Gießener Anzeiger