Es gibt nun also auch rein weiblich besetzte Veranstaltungen, im 25. Jahr des Poetry-Slams, auch auf Gießener Bühnen. So etwa am Donnerstag auf der taT-Studiobühne. Vier Poetry-Slammerinnen traten auf, nicht im Wettstreit gegeneinander, sondern mit- und füreinander, wie sie betonten. Die Zusammenstellung musste kurzfristig wegen Krankheit geändert werden, viel Zeit hatte das Quartett also nicht, um "die Show" abzusprechen. Insofern litt der Gesamtauftritt etwas darunter. Eines wurde deutlich: Eine vorinformierte Moderatorin hätte diesem Abend gutgetan. Sich einfach hinzusetzen und zu plaudern über Dinge, die nur einen Teil des Publikums interessiert, das ist schlicht ermüdend. Zudem waren die beiden echten Power-Frauen im ersten Teil zu hören, und die leisen, lyrischen Frauen im zweiten Teil. Der anfängliche Schwung verplätscherte nach mehr als zwei Stunden.
Doch waren die vorgetragenen Eigentexte durchweg politisch, genauer gesagt: feministisch. Ella Anschein tobte mit rheinländischem Temperament über die Bühne. Dass sie mittlerweile eine Schauspielausbildung macht, das ist deutlich zu sehen und zu hören. Sie agiert wesentlich ausgreifender und variationsreicher als die anderen, sie ist auch die Einzige, die vom Texte schreiben und vortragen lebt, wie zu erfahren war. Die anderen studieren, haben einen anderen Job. Wie das bei freischaffenden Künstlern und Künstlerinnen so ist.
Ella Anscheins gesungener Einstieg war eine modernisierte Textvariation auf Trude Herrs "Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann". Die älteren im Publikum erinnerten sich noch an den Song der Nachkriegsära, dafür kannten die Jüngeren den anderen kritisierten Song, der das Leben einer Alleinerziehenden beschreibt. Die Power-Poetin ließ kein gutes Haar an Max Giesingers "weinerlichem Deutschpop", der vom realen Leben junger Frauen weit entfernt sei. Eine sehr berührende lyrische Beschreibung der in Frauenhäusern lebenden Menschen folgte.
Die kurzfristig eingesprungene Suse Bock Springer kam aus Kassel und brachte das emotionsgehemmte Temperament der Nordhessen mehrmals zur Sprache. Ihr Witz ist groß, ihr Thema ist die Wahrnehmung und der Umgang mit dem weiblichen Körper. Sie plädiert dafür, endlich mal normal und sachlich über Brüste zu sprechen. Mit großem Witz erläutert sie die Funktion von "Büstenhaltern als Behälter" und erklärt open stage, wie das Abtasten zur Krebsvorsorge geht.
Dass Lena Stockoff aus Tübingen kommt, war in ihrer Schilderung einer Zugfahrt im Schwäbischen angeklungen. Überhaupt ist sie derzeit viel auf Tour, kam direkt von der Buchmesse in Frankfurt, wo sie einen ihrer Texte (zu 100 Jahre Frauenwahlrecht) für eine Arte-Fernsehsendung vorgetragen hatte. Ein anderer Text war in bester poetischer Tradition in sich verschraubt und nicht wirklich verstehbar.
Die Vierte im Bunde, Saskia Münch aus Stuttgart, outete sich als Studentin der Ernährungswissenschaften und hätte im Publikum durchaus Resonanz für das Thema gefunden, doch da war der Abend schon zu weit fortgeschritten. Sie trug einen Text aus der Sicht eines Mädchens vor, dessen Mutter sich in einem Land, in dem Frauen Kopftücher tragen müssen, sittenwidrig verhält. Und einen, in dem sie mit bezaubernder Leichtigkeit von einer Liebesaffäre erzählte.
Dagmar Klein, 19.10.2019, Gießener Allgemeine Zeitung