In der Aula der Gießener Universität fand die bewährte Tradition einer Kooperation des Philharmonischen Orchesters mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt ihre Fortsetzung. Zweimal jährlich absolvieren Frankfurter Kandidaten einen Teil ihrer Prüfung mit den professionellen Gießener Kräften, in aller Öffentlichkeit.
Dieses Konzert ist kein Wettbewerb - niemand kann das Siegesreis davontragen. Und doch ist die Situation für die beteiligten Solisten schier noch herausfordernder, noch größer mag die Anspannung sein, exorbitant der Druck. Um nichts Weniger als den endgültigen Übertritt in das knallharte Business professioneller Musikausübung geht es hier, wenn mit dem Konzertexamen der letzte Schritt langjähriger, hochkarätiger Ausbildung auf dem Instrument absolviert wird.
In der Aula der Gießener Universität fand nun die bewährte Tradition einer Kooperation des Philharmonischen Orchesters mit der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt ihre Fortsetzung. Zweimal jährlich absolvieren Frankfurter Kandidaten einen Teil ihrer Prüfung mit den professionellen Gießener Kräften, in aller Öffentlichkeit - und unter kritischer Beobachtung nicht nur durch die Gutachter, sondern auch der Öffentlichkeit. Denn Öffentlichkeit ist essentieller Bestandteil professionellen Musizierens, und Öffentlichkeit wird die Musiker von nun an begleiten, mal wohlwollend, mal begeistert, mal kritisch.
Drei Solokonzerte standen auf dem von Kapellmeister Martin Spahr geleiteten Programm: das Flötenkonzert op. 283 von Carl Reinecke, das "Concierto de Aranjuez" für Gitarre und Orchester von Joaquín Rodrigo und Jean Sibelius' Violinkonzert op. 47. Diese Auswahl ist höchst konventionell; sie zeigt einmal mehr, wie ungeheuer standardisiert diese Phase der Musiker-Ausbildung verläuft. Der Kanon der zum Examen gespielten Werke ist äußerst begrenzt - in vielen Fällen handelt es sich sogar um die Stücke, die bereits zur Aufnahmeprüfung gewählt wurden. Dafür gibt es natürlich Gründe. Zum einen historische: Im Bereich der romantischen Flötenmusik mit großem Orchester ist die Auswahl an geeigneter Literatur beschränkt, freundlich gesagt. In noch viel stärkerem Maße gilt das für Gitarre. Was soll man da außer Rodrigo schon spielen? Anders ist es bei der Geige, denn für dieses Instrument zu schreiben, hat sich ja kaum ein Komponist nehmen lassen. Es ist indes vermutlich symptomatisch für den gegenwärtigen Musikmarkt, dass sich kaum jemand gestattet (oder dass die Lehrer nicht gestatten), sich ernsthaft ins 20. Jahrhundert oder sogar in die Gegenwart vorzuwagen. Die 1904 und 1909 uraufgeführten Werke von Sibelius und Reinecke sind romantisch; aber auch das Gitarrenkonzert, immerhin von 1939, ist in seinem Neoklassizismus kein Werk einer irgendwie progressiven Haltung.
Klare Tendenzen
Diese beinahe ängstliche Beschränkung auf ein Mini-Kernrepertoire von Musik aus dem (langen) 19. Jahrhundert gehorcht auch einer Marktlogik. Das sind dann die institutionellen Gründe. Nicht nur ist damit gemeint, dass sie heute mehr Geld mit der zentillionsten Einspielung der allerbekanntesten paar Stücke verdienen können, als mit Musik, die außerhalb des Mainstreams liegt, eher geht es auch darum (denn nicht alle der erfolgreich examinierten Musiker werden Solisten, ganz im Gegenteil), dass bei Vorspielen für Stellen eben auch immer die gleichen Stücke vorgetragen werden müssen. Der Vorteil einer solch engen Auswahl ist nicht zuletzt Vergleichbarkeit.
Tendenzen traten im Konzert klar zu Tage: Echte solistische Ambitionen ließ nur Violinist Julian Fahrner erkennen, der sich mit seiner Sibelius-Interpretation als Einziger tatsächlich auch traute, die sicheren Geleise einer technisch soliden Performance zu verlassen. Die hoch energetische Intensität der lang ausgehaltenen Töne im langsamen Satz führte er bis an eine äußerste Grenze, den sämigen, dunklen Ton behielt er noch in schwierigsten Doppelgriffpassagen. Der dritte Satz, von wilder Eleganz, geriet kurz vor Schluss ins Straucheln, da brach die Konzentration weg und Orchester und Solist liefen asynchron. Aber auch das ist Professionalität: Fahrner fing sich sofort wieder - dem mitreißenden Gesamteindruck tat das gar nicht so viel Abbruch.
Die beiden anderen Solisten spielten ein bisschen auf Sicherheit: Damian Barnett verband einen nicht sehr voluminösen Flötenton wenig interessant mit einer eher unexpressiven Spielweise. Man muss aber auch erwähnen, dass das Orchester in der Begleitung durchweg zu laut war. Und Carlos Vivas' Rodrigo gab sich an der Solo-Gitarre recht distanziert - so richtig emotional wurde das ebenfalls nicht, noch nicht einmal im berühmten Klagesang des zweiten Satzes. Und den dritten hat man auch schon beschwingter gehört.
Karsten Mackensen, 11.01.2020, Gießener Anzeiger