Provokant, drastisch, abstoßend: Performance in taT-Studiobühne widmet sich Valerie Solanas’ berüchtigtem „Scum-Manifest“
An Valerie Solanas’ „Scum-Manifest“ scheiden sich die Geister. Die einen bescheinigten der US-Amerikanerin, mit ihrem literarischen Wutausbruch gegen die Spezies Mann eine brillante Parodie verfasst zu haben. Die anderen begriffen das Werk als Kampfschrift einer ebenso fanatisierten wie verwirrten Feministin. Nun nimmt das in Gießen gegründete Theaterkollektiv „Skart“ diesen Text aus dem Jahr 1967 zum Anlass für eine drastische Performance – an der sich ebenfalls die Geister scheiden dürften. Am Donnerstagabend feierte „Happiness is a warm Gun“ Premiere auf der taT-Studiobühne.
Warnung am Eingang
Was das Publikum darin erwartet, lässt sich schon anhand der Handzettel erahnen, die vor Beginn am Eingang verteilt werden und vor grell blitzendem Stroboskoplicht sowie „gegebenenfalls verstörendem Video-Material“ warnen. Drinnen geht es dann zunächst eher harmlos zu, wenn die beiden in weiblicher Abendgarderobe und riesigen Katzenmasken steckenden Darsteller Paula Schrötter und Pascal Thomas beginnen, den Bühnenboden mit Dutzenden Frauenzeitschriften zu bedecken.
Doch diese von viel Musik untermalte Performance funktioniert wie eine Fahrt in der Achterbahn: Erst werden die Zuschauer langsam auf den Scheitelpunkt gezogen – um dann brachial in die Tiefe gestoßen zu werden. Schwindelgefühle sind dabei bewusst einkalkuliert. Hier funktioniert es zunächst über einige von Tonband laufende Texteinspielungen, die sich mit der Rolle der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft befassen: höflich, bescheiden und unterwürfig hat sie demnach zu sein. Bebildert wird das von den beiden sanft schnurrenden Miezekatzen auf hochhackigen Schuhen.
Doch dann fallen irgendwann die Masken und in einer ersten drastischen Szene wickelt der Mann die Frau mit Frischhaltefolie auf einen Holzbalken, um sie anschließend genüsslich auf einem Spieß zu drehen. Um genau solche lustvoll Gewalt ausübenden Exemplare des „starken Geschlechts“ ging es Valerie Solanas (1936 –1988), die heute vor allem für ihr Attentat auf Pop-Art-Genie Andy Warhol bekannt ist, von dem sie sich verraten fühlte, und den sie im Jahr 1968 mit einem Pistolenschuss schwer verletzte. Textzeilen ihres wie ein ausgestreckter Mittelfinger wirkenden Manifests (Scum – Abschaum) werden dem Publikum im taT entgegengeschleudert. Der Mann muss kompensieren, dass er keine Frau ist. Der Mann ist eine biologische Katastrophe. Der Mann muss ausgerottet werden.
Doch bei solch unzweideutigen Sätzen allein belassen es die beiden jungen „Skart“-Autoren Philipp Karau und Mark Schröppel in ihrer Inszenierung nicht. Sie zeigen auch Videobilder, die selbst hartgesottene Zuschauer schlucken lassen. Zunächst sind es abstoßende pornografische Szenen, zahlreiche gelbstichige Bildschnipsel, die einen ausschließlich männlichen Blick transportieren, der Sex offenbar vor allem als Form körperlicher Machtausübung versteht. Als Antwort darauf ist anschließend ein Experimentalfilm aus dem Jahr 1992 zu sehen, in dem sich eine vergnügte junge US-Amerikanerin von zwei weiteren Frauen die Scheide zunähen lässt – detailliert und minutenlang. Das ist alles nur schwer erträglich, auch wenn im anfangs ausgeteilten Handzettel vorweggenommen wird, dass es sich dabei „nicht um eine Provokation, sondern um eine inhaltliche Aussage über den gesellschaftlichen Umgang mit Sexualität und Körpernormen“ handele.
Diese auf eine extreme Schockwirkung zielende – und tatsächlich viel zu lange – visuelle Darstellung des Geschlechterkampfes ist das eine, was dieses Stück diskutabel werden lässt. Das andere ist der Verzicht auf jegliche Zwischentöne. Kein Satz endet ohne Ausrufezeichen, keine Botschaft bietet Platz für Diskussionen oder gar eine Gegenthese. Hier ist stattdessen ein extremer Standpunkt zu besichtigen, nicht mehr – aber auch nicht weniger.
Wer sich ihm aussetzen mag, bekommt das körperlich enorm fordernde Spiel der beiden Stadttheater-Schauspieler Paula Schrötter und Pascal Thomas zu sehen, die sich den schweißtreibenden dramaturgischen Herausforderungen mit viel Spielfreunde annehmen. Und davon gibt es einige: Gewichte stemmen, akrobatisches Balancieren und groteske Latexkostüme etwa, in denen sie lautstark Solanas’ Scum-Parolen formulieren. Aber dem Duo werden auch einige leise Momente gewährt. Und wenn sie am Ende Anzeigen aus den zu Beginn ausgelegten Hochglanzmagazinen mit sexualisierten Frauenkörpern durch den Reißwolf laufen lassen, dann ist das nicht nur ein Verweis auf heutige Geschlechterrollen – man ist auch ganz auf ihrer Seite.
Björn Gauges, 14.09.2019, Gießener Anzeiger