Das neue Familienstück des Stadttheaters erzählt von drei Pinguinen in der Arche – und stellt einige schwergewichtige Fragen
Wenn drei sich streiten, ist keinem geholfen. Doch diese Pinguine kennen es einfach nicht anders. Was soll man auch anderes machen, wenn man sich in der Einöde des ewigen Eises nicht langweilen will? Als zwei der frechen Vögel dann aber zwei Tickets sowie die Nachricht erhalten, sich wegen der nahenden Sintflut um 8 Uhr an der Arche einzufinden, müssen sie sich zusammenraufen, um gemeinsam an Bord zu gelangen. Denn schließlich lässt kein Pinguin den anderen im Regen stehen. Davon – und von einer ganzen Menge mehr – erzählt das neue, mit viel Musik angereicherte Familienstück des Gießener Stadttheaters, das sich an ein Publikum ab sechs Jahren richtet und am Montagmorgen vom jungen Premierenpublikum begeistert gefeiert wurde.
Regie führt einmal mehr Ensemble-Mitglied Lukas Goldbach, dessen Inszenierungen seit 2013 alljährlich ein ganz junges Publikum in das Große Haus locken und dabei oft genug für prägende erste Theatererlebnisse sorgten. Diesmal hat er sich einer Vorlage des Autors Ulrich Hub angenommen, in der Fragen von elementarer Tiefe angeschnitten werden. Gibt es Gott? Wie sieht er aus? Ist er überhaupt ein Er? Und was hat man von ihm zu erwarten oder gar zu befürchten? Darüber streiten die drei Pinguine (Premierenbesetzung: Stephan Hirschpointner, David Moorbach und Johanna Malecki), nachdem der wildeste von ihnen versehentlich einem vorbeiflatternden Schmetterling den Garaus machte. Das wird Ärger mit dem Schöpfer geben, drohen die beiden anderen.
Schließlich lautet das Gebot: Du sollst nicht töten! Der Rabauke weigert sich fortan, an Gott zu glauben – doch dann setzen Dauerregen und die Sintflut ein.
Autor Hub, der einst selbst am Gießener Stadttheater als Schauspieler engagiert war, hat das Werk 2005 als Auftragsarbeit für das Schauspiel Karlsruhe geschrieben. Gefordert war ein Kinderstück zum Thema Gott – ein Stoff mit enormer Fallhöhe also. Und wie der vielfach mit Preisen dekorierte Dramatiker diese Aufgabe gelöst hat, das ist tatsächlich sehr überzeugend. Hubs „An der Arche um Acht“ wurde zum Bestseller und hat sich zu einem der meistverkauften Kinderbücher entwickelt. Das gleichnamige Stück ist mittlerweile in über 30 Sprachen übersetzt worden und ein Dauerbrenner auf den Kindertheaterbühnen. Auch in Gießen wird es zum Volltreffer, weil es in gut einer Stunde Spielzeit mit Witz, Tempo und überraschenden Effekten gleichermaßen besticht, schöne, eingängige Musikstücke bereithält und schließlich auch noch eine allgemeingültige Botschaft vermittelt.
Die Bühne (Lukas Noll) besteht dabei zunächst aus einer Menge Eisschollen, auf denen sich die Pinguine herumtreiben. Seitlich der Bühne ist ein stummer älterer Herr platziert, in dem man sich durchaus Gott vorstellen kann. Ein Mann mit wallendem Rauschebart, lustiger Sonnenbrille und knallbunten Hippieklamotten, der die Atmosphäre der Geschichte auf einer goldenen E-Gitarre klanglich untermalt. Er gibt auch den Einsatz für die Lieder (Darsteller und Musik: Henrik Loos), die das Pinguintrio zum Besten gibt. Mal wild und punkig, mal voller poppigem Pathos, mal im Reggae-Sound geht es da zu, wenn die schrägen Vögel (zweite Besetzung: Pascal Thomas, Magnus Pflüger, Esra Schreier) zum Gesang ansetzen. Und dann ist da noch die strenge weiße
Taube Paula Schrötter (Vanessa Diana Wirth), die nur ein Paar von jeder Gattung auf das Schiff lassen will und den Vögeln im Falle eines Betrugs mit schlimmen Konsequenzen droht.
Eine mächtige Sintflut
Dann kommt die Sintflut – und die macht auf der Gießener Theaterbühne mächtig was her. Schwere Wolken senken sich auf den Bühnenboden, eine riesige, vom Wind bewegte Plane wird
zum tosenden Meer und die Gitarre kreischt dazu mit wilden Tönen. Ein mächtiges Spektakel, das viele der jungen Zuschauer mit offenen Mündern bestaunen. Zum Glück haben sich alle drei Pinguine an Bord der mächtigen Arche retten können, doch bis rettendes Land in Sicht ist, müssen sie noch manches Abenteuer – und ein herrlich verkrächztes Lied der weißen Taube – überstehen. Am Ende halten Autor Hub, Regisseur Goldbach und das Ensemble noch eine ganze Menge Überraschungen für ihr Publikum bereit. Der Gott am Bühnenrand ist gar nicht Gott, sondern Arche-Kapitän Noah, vielleicht immerhin auch ein Gitarrengott. Gott gibt sogar Fehler zu, zumindest diesen einen mit der Sintflut, den er ganz sicher nicht mehr wiederholen wird, wie er Noah ausrichten lässt. Und Gott ist auch kein Mann. Vielmehr ist er „überall. In jedem Mensch, in jedem Tier, in jeder Pflanze“, wie die Pinguine und das Publikum erfahren. Und das ist für ein solches lustiges, spannendes Kinderstück dann doch eine ganze Menge. Das nach dieser Stunde Spielzeit zudem ein paar fröhliche Ohrwürmern in den Gehörgängen steckenbleiben, spricht ebenfalls unbedingt für dieses warmherzige und fröhliche Theaterspektakel.
Björn Gauges, 26.11.2019, Gießener Anzeiger