Stefan Mickisch ist zurück am Stadttheater. Der Pianist erläutert den zweiten Teil seiner Verquickung von Tonarten und Sternzeichen. Routiniert greift er vor halb leerem Haus in die Tasten.
Hatten wir das nicht schon? Stefan Mickisch erklärt im Stadttheater den Bezug von Tonarten und Sternzeichen. Letzten Oktober hatten wir das. Diesmal trägt die Veranstaltung einen Zusatz: "Teil 2". Vergangenes Jahr stellte der Meister des Gesprächskonzerts nur sechs der zwölf Sternzeichen und ihre Tonarten vor. Die zweite Hälfte, von A-Dur/fis-Moll (Krebs) bis As-Dur/f-Moll (Schütze), folgte am Freitagabend im Großen Haus vor halb leeren Rängen.
Ein Grund für den neuerlich schwachen Besuch: Mickisch dringt bei seinem Vortrag in klangkosmische Welten vor, die sich dem Laien nur dann in allen Details erschließen, wenn er eine musikalische Grundausbildung mitbringt. Wenn er den Quintenzirkel kennt und ihn nicht für die Vereinigung von, sagen wir, fünf finsteren Gesellen hält. Oder wie es vor einem Jahr in dieser Zeitung hieß: "Es erweist sich als Vorteil, wenn der Laie gar kein Laie mehr ist."
Auch beim zweiten "Tonarten und Sternzeichen"-Abend spielt die Zwölf die zentrale Rolle. Es gibt zwölf Töne und damit zwölf Dur- und zwölf Moll-Tonarten, es existieren zwölf Tierkreiszeichen, das Jahr umfasst zwölf Monate und der Tag zweimal zwölf Stunden. Um seinen "Komplettheitszirkel" zu erweitern, hat Mickisch nun auch noch die Farbenlehre des Isaac Newton, genauer den vom Forscher entwickelten Farbkreis mit seinen zwölf Schattierungen, in seinen musikwissenschaftlichen Exkurs einbezogen, weshalb er Wagners Wotan auf ein lila Sofa setzt und Des-Dur (Skorpion) dunkelblau sein soll. Das passt zusammen, wenn man will. Und wenn man nicht will, mag das Mickisch nicht. Es geht um sein Geschäftsmodell. Trotz der Komplexität der Verknüpfungen ist des Pianisten Credo einfacher Natur.
Leider hat der Künstler am Freitag nicht allzu viel Lust auf Erklärungen. Er will lieber spielen. Deshalb erfährt das geneigte Publikum diesmal wenig über die Hintergründe der Mickisch’schen Tonarten-, Sternzeichen- und Farbenkombination. Stattdessen erzählt der 57-Jährige die Geschichte, wie sein Großvater 1936 ein Klavier bestellte und die Großmutter davon nichts wusste. "Ohne meinen Großvater hätten weder mein Vater noch ich Klavier spielen gelernt - das ist deutsche Geschichte." Mickisch lobt den Gießener Friedhof ob seiner Schönheit und erklärt im oberpfälzischen Tonfall, dass er wegen eines unsinnigen Stoiber-Vortrags in Bayreuth über "Parsifal" aus der CSU ausgetreten ist. Dann fällt ihm beiläufig ein: "Wie dumm die Deutschen geworden sind, ohne Grund."
Am Steinway liefert der Pianist ein Konzert von hohem Rang. Während er bei seinen Opernanalysen in der Partitur blättert und Hinweise liefert, spielt er am Freitag alles auswendig. Das macht er empathisch und wie immer mit etwas zu viel Pedaleinsatz. Aber wo gibt es schon an einem Abend von nur einem Künstler Auszüge aus den Opern von Wagner (unter anderem den "Walkürenritt") und Strauss ("Rosenkavalier") zu hören, dazu ein Häppchen aus Regers Bach-Variationen, Chopin mit Tristan-Akkord, Skrjabins 4. Klaviersonate und Ravel in abseitigem Cis-Dur? Langer Applaus vom Publikum. Auf eine Zugabe verzichtet der Meister. Auch das kennt man von ihm.
Manfred Merz, 09.09.2019, Gießener Allgemeine Zeitung