Sektlaune allenthalben beim Neujahrskonzert im Stadttheater. Gastdirigent Enrico Delamboye setzt auf Gute-Laune-Musik. Das Publikum ist begeistert. Zwei Zugaben sind dann ja das Mindeste.
Es prickelt auf der Haut. Mundwinkel gleiten nach oben. Köpfe nicken. Das Potpourri der guten Laune lässt keinen Zweifel: Diesmal wird zum Jahreswechsel nicht tief sinnierend in die musikalische Glaskugel geguckt, diesmal herrscht eitel Sonnenschein. Damit nicht genug: Das Neujahrskonzert im Stadttheater gestern Abend im ausverkauften Großen Haus mutet an wie die Fortsetzung des musikalischen Jahresauftakts der Wiener Philharmoniker, der am Mittag im TV mit Walzerseligkeit und Polkapossen die Gemüter erheiterte.
Im Stadttheater steht mit Enrico Delamboye ein Gießen-Debütant am Pult. Das Philharmonische Orchester hatte sich den Niederländer als Dirigenten für das Überraschungskonzert gewünscht. Mit Werken von Johann Strauß Vater, den Strauß-Söhnen Johann, Eduard und Josef, Franz von Suppé und Carl Michael Ziehrer hat er ausnahmslos Österreichisches im Gepäck. Die Moderation des Abends liegt in den Händen von Bariton Tomi Wendt, der bayerischen Frohnatur mit Entertainer-Ambitionen, dem Operndirektor Moritz Gogg mit Wiener Schmäh zur Seite steht - ein köstliches Paar!
Mit dem Walzer »Herrreinspaziert!« aus der Operette »Der Schätzmeister« von Ziehrer geht es trefflich los. Das Orchester musiziert unter Delamboyes beschwingtem Dirigat heiter, aber konzentriert. Es trägt den Dreivierteltakt im Herzen. Kann aber auch anders: Die schnelle Polka »Ohne Bremse« von Eduard Strauß rauscht quirlig und pointiert herbei. Das »Wiener Blut« von Johann Strauß pocht noch in den Adern, ehe Johann und Josef Strauß mit ihrer »Pizzicato-Polka« den zupfenden Charakter der Geige ins rechte Licht rücken. Operettenkaiser Franz von Suppé lässt mal eben die Ouvertüre zur »Leichten Kavallerie« herbeitraben, während Walzerkönig Johann Strauß »Rosen aus dem Süden« überreicht. Seine »Tritsch-Tratsch-Polka« (am Mittag auch in Wien zu hören) reißt vor der Pause noch mal jeden mit.
Von Suppé ist immer für eine Ouvertüre gut. Diesmal heißt die Operette dazu »Die schöne Galathée«. Sie leitet den zweiten Teil des Abends ein. Die »Sphärenklänge« von Josef Strauß verlangen mit neun Minuten Spieldauer etwas Geduld, bevor es wieder Johann Strauß ist, der mit seiner Polka française »Im Krapfenwaldl« losprescht und »An der schönen blauen Donau« neuerlich die Herzen für sich gewinnt.
Als Zugaben serviert Dirigent Delamboye dem begeisterten Publikum den »Radetzkymarsch« (traditionell der »Rausschmeißer« der Wiener Kollegen) von Johann Strauß Vater (also nicht vom Walzerkönig). Danach darf Sohnemann Johann »Unter Donner und Blitz« neuerlich mit einer pfeilschnellen Polka auftrumpfen. In Sektlaune perlt das Auditorium mit der Musik um die Wette. Schee woars.
Manfred Merz, 02.01.2020, Gießener Allgemeine Zeitung