Neujahrskonzert im Stadttheater mit Gastdirigent Enrico Delamboye und einem österreichischen Programm
Mit einem fröhlichen, ja ausgelassenen Konzert begeisterte das Philharmonische Orchester Gießen die Besucher des Neujahrskonzerts. Gastdirigent Enrico Delamboye leitete das Ensemble beseelt, mit größter Spielfreude und exzellentem Einfühlungsvermögen. Und das Orchester sauste hochengagiert durch das Musikgeschehen Wiens und Kompositionen von Johann Strauß Vater, den Söhnen Johann, Eduard und Josef sowie Franz von Suppé und Carl Michael Ziehrer: ein Riesenvergnügen und ein toller Jahresauftakt.
Traditionell wird das Programm des Neujahrskonzerts bis zum Beginn geheim gehalten. Und „nach 17 Jahren rechnen Sie ja wirklich mit allem“, sagte Stadttheater-Intendantin Cathérine Miville später, „aber nicht mit unserem grandiosen musikalischen Meister Enrico Delamboye. Dazu gehört auch unser frisch und mitreißend aufspielendes Philharmonisches Orchester“, rundete sie ihr Lob ab.
Los ging’s gleich mit Schwung und Schmäh und Carl Michael Ziehrers „Herrreinspaziert“ (mit drei r) aus der Operette „Der Schätzmeister“. Dirigent Delamboye leitete das Ensemble mit dynamischer Körpersprache, seelenvoll engagiert, und setzte zahlreiche Akzente zur Verzögerung. Und schon die folgende schnelle Polka „Ohne Bremse“ von Eduard Strauß erwies sich als erste Wunderkerze. Flott sauste das Orchester durchs Stück: Riesenbeifall, das Publikum hatte bereits Feuer gefangen.
Bei Johann Strauß’ „Wiener Blut“ retardierte Delamboye stark und spielte immer wieder mit ungenierter, lustvoller Emotion. „In diesem Konzert gab es unglaublich oft Rubato“, sagte ein Orchestermitglied. Dafür ist Delamboye ein Fachmann. Er arbeitete Charme und Schönheit des Materials heraus und interagierte dazu mit den Orchestergruppen.
Angenehm heiter und zwanglos agierten die Moderatoren, Bariton Tomi Wendt und Operndirektor Moritz Gogg, letzterer passte als gebürtiger Grazer auch perfekt ins wienerische Ambiente.
Nächster Höhepunkt war die köstliche „Pizzicato-Polka“ von Johann und Josef Strauß. Ganz in die Ruhe versenkt, war das ein kompletter Klangwechsel beinahe schon ins Besinnliche. Ein zarter Ansatz, die Triangel wirkte da fast schon laut, Delamboye und Ensemble gelang eine hauchzarte Umsetzung der witzigen Komposition.
Noch ein Glanzlicht: Franz von Suppés „Leichte Kavallerie“ mit großem Blech-Aufklang und dem berühmten Trompetenmotiv: Delamboye stand stramm, kurz zumindest. Die opernhaften Elemente wurden glanzvoll integriert, ebenso schöne, große und dramatische Blechakzente. „Das Beste ist der Dirigent“, sagte eine Besucherin anerkennend. Zum Abschluss der ersten Hälfte gab es Johann Strauß’ „Tritsch-Tratsch“, eine schnelle Polka mit geradezu filmmusikalischer Vielfalt. Schwung, Farbe und Details kamen voll zur Geltung, gespielt wurde sehr flott und hinreißend geschlossen. Jetzt war das ganze Haus auf Betriebstemperatur.
Von lyrisch zart bis schwungvoll erstreckte sich Franz von Suppés „Galathée“ (Gogg: „Eine komisch-mythologische Oper“), gefolgt von Joseph Strauß’ „Sphärenklängen“. Heiter, leicht, hingetupft kam das mit sehr ästhetischer Dynamikgestaltung; vom Orchester stimmig und rund musiziert. Ein bisschen verrückt und sehr heiter erklang dann „Im Krapfenwaldl“ von Johann Strauß Sohn, eine „Polka francaise“ mit den Stimmen des Kuckucks und anderen Gefieders, finalisiert in einem heiteren Multigezwitscher.
Besser als mit dem „Donauwalzer“ von Johann Strauß (Wendt: „Der wohl berühmteste Walzer aller Zeiten“) konnte das Programm kaum enden und das neue Jahr schwerlich besser beginnen. Jetzt gaben Dirigent und Orchester noch einmal alles an emotionaler und fachlicher Energie. Das Werk wurde hochdifferenziert, fast analytisch gespielt, mit genau getroffener emotionaler Balance und feinen Stimmungsnuancen. „Wir spielen das ja auch gern. Die Probenarbeit war sehr angenehm“, sagte ein Orchestermitglied hinterher in Anspielung auf einen möglichen neuen GMD. „So könnte es weitergehen.“
Als erste Zugabe fuhr Johann Strauß Vaters „Radetzkymarsch“ den Besuchern in die Glieder, die Hände zuckten, Delamboye gab dem Saal Zeichen, leise zu klatschen, ließ dann wieder die Zügel los und es wurde richtig laut. Ansage der Intendantin, Vorstellung aller Solisten, Blumenverteilung, Ab- und Wiederaufgang des Dirigenten, alles badete in rauschendem Beifall. Und dann kam Delamboye noch einmal zurück, zwinkerte dem Publikum zu und spielte eine Zweite: „Unter Donner und Blitz“ (Johann Strauß Sohn), noch ein Tempo-Kracher. Das i-Tüpfelchen.
ZUR PERSON
Der Niederländer Enrico Delamboye wirkte als Kapellmeister und Korrepetitor an den Staatstheatern Wiesbaden und Mainz, den Wuppertaler Bühnen und der Oper Köln. Ab 2010 war er Chefdirigent am Theater Koblenz, hinzu kommt eine langjährige Zusammenarbeit mit dem WDR Funkhausorchester Köln, wo er 2018 zum ersten Gastdirigenten ernannt wurde. Inzwischen widmet er sich freien Kooperationen.
Heiner Schultz, 03.01.2020, Gießener Anzeiger