Das Weihnachtsoratorium "L'Enfance du Christ (Die Kindheit Jesu) aus der Feder von Hector Berlioz (1803 - 1869) gilt als Musterbeispiel für das literarische Ereignis, das mit Mitteln der Instrumentalmusik dramatisch vergegenwärtigt wird. Schwere Kost für Sänger und Musiker, höchst anspruchsvoll dazu.
Die Wetzlarer Singakademie im Zusammenspiel mit dem Partnerchor des Gießener Konzertvereins, dem Philharmonischen Orchester Gießen sowie dem Chor und Solisten des Stadttheaters Gießen stellte sich in der Wetzlarer katholischen St. Walburgiskirche dieser Aufgabe mit Bravour und Hingabe. Sicher auch ein Verdienst des musikalischen Leiters Jan Hoffmann. Letzterer verstand es vorzüglich, mit den Klangfarben des Orchesters eine behutsame Instrumentalisierung in das Geschehen einzumischen.
Es ging um das junge Leben von Jesus Christus und dessen frühe, dramatisch bedrohte Kindheit.
Die geistliche Trilogie schilderte zunächst in sinfonischer Dichtung Charakter und Wahn des von zwiespältigen Ängsten heimgesuchten Herodes. Schwächlicher und von Rom gnädig protegierter König von Judäa. Magiere, von den Chören eindringlich dargestellt, berichten ihm von der Geburt im Stall von Bethlehem und der damit einhergehenden Gefahr für ihn und seinen Thron.
Aus Schulbüchern wissen wir, dass der vielfache Säuglingsmord in Bethlehem, Nazareth und Jerusalem folgte. Das vielstimmige Inferno in moll ließ die grausame Abfolge nachfühlen. Geradezu erholsam streichelte der zweite Teil das Empfinden.
Die Flucht nach Ägypten, eigentliche Keimzelle des gesamten Oratoriums, gipfelt im Abschiedschor der Hirten. Darin offenbart sich ein ungewöhnlicher Reichtum an zarter und beinahe poetischer Melodik, die dank der gut 100 Sängerinnen und Sänger eindringlich zur Entfaltung kam.
Wunderschönes Trio für zwei Flöten und Harfe
Die hier sparsame Instrumentalisierung lässt das Ansinnen des Komponisten Berlioz nachfühlen, Ruhe und Rettung der heiligen Familie sinfonisch darzustellen. Der zarte Fluss der Melodien unterstreicht dieses nachvollziehbare Anliegen. Schließlich die Ankunft in Sais (altägyptische Stadt im westlichen Nildelta), wo der Familie zunächst Ablehnung und Feindseligkeit widerfährt, bevor der Ismaelit Gastlichkeit und Heimstatt gibt.
Wieder verziert die herrliche Musik den Triumph der Menschlichkeit und die gelegentlich aufblitzende Reinheit der Seele.
Musikalisch unterstreicht dies ein wunderschönes Trio für zwei Flöten und Harfe. Machtvoll noch einmal das Finale, das den Weg Christi zur Stätte seines späteren Wirkens leitet.
Die mit (zu Recht) dankbarem Schlussapplaus der rund 350 Besucher bedachte oratorische Erzählung ist die sinfonisch dargestellte Geschichte von Verfolgung und Flucht aber auch von Mitmenschlichkeit und Solidarität. Letzteres ist als weihnachtliche Botschaft zu verstehen und ist gerade in diesen Tagen wieder aktuell.
Gerhard Gerbig, 06.12.2019, Wetzlarer Neue Zeitung