Berlioz’ selten aufgeführtes Weihnachtsoratorium mit der Frankfurter Singakademie in der Alten Oper
Liebe im Opiumrausch, Jüngstes Gericht, Liebestod in der Gruft, Banditenleben in den Abruzzen, Fausts Verdammnis – das sind die Stoffe, an denen sich Hector Berlioz’ kompositorische Phantasie entzündet hat. Und wenn es ruhiger zuging, dann bei Sommernächten in exotischer Umgebung.
Da wirkt ein Weihnachtsoratorium fast deplatziert, wenngleich die Stoffwahl mit Herodes’ Kindermord, Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten und Lebensrettung durch Ismaeliten Quelle markanter Klang-Illustration sein könnte. Gespielt wird das Werk, das zweistündige Abwechselung auf den klingenden Bunten Teller des ewig gleichen Weihnachtsoratoriums Johann Sebastian Bachs brächte, jedenfalls so gut wie nie.
So war es mehr als nur eine Präsentation des gegenwärtigen Leistungsstands der Frankfurter Singakademie unter Leitung ihres Dirigenten Jan Hoffmann, was in der Alten Oper im Rahmen der Weihnachtskonzerte der Frankfurter Museumsgesellschaft geboten wurde. Dreiteilig, entsprechend den Brennpunkten des postnatalen Geschehens um die Heilige Familie, ist der Ablauf des von Berlioz seit 1850 mit immer weiteren Sätzen vergrößerten Werks, das 1854 seine endgültige Gestalt annahm.
Die Szene des Herodes ist ein großer Monolog des um seine Macht bangenden, von Magiern beratenen und zur Tötung aller potentiellen Gefährder angestifteten Königs in Judäa. Hier, wie auch in den folgenden familiär-idyllischen und ländlich-pastoralen Passagen: kein buntes, grelles oder zündendes Klangprisma. Eher getragene, manchmal fast schleppende und flächig bleibende Klangfelder. Harmonisch eher herb, jedenfalls ohne alle modulatorische Spannung und Raffinesse. So bleibt es eigentlich die ganze Zeit: die Vokalsolisten (Maria, Joseph, Herodes und der Erzähler) bilden da keine Ausnahme und auch der Chor, der nicht allzu oft und keinesfalls mächtig eingesetzt wird, stellen keine wesentlich andere Perspektive dar.
Das alles kam im Großen Saal noch deutlicher zur Geltung, weil Jan Hoffmann keine Anstalten machte, mit agogischem Elan, mit forcierender, expressiv aufladender Geste zu arbeiten. Die spröde, sachtgängige Musik blieb mehr atmosphärisch, als dass sie ausdrücklich geworden wäre. Ein durchaus plausibles Konzept: Berlioz auf dem Weg in nazarenische Gefilde, die dann Saint-Saëns, Charles Gounod oder César Franck vollumfänglich zu verwirklichen vermochten.
Besonders mit den männlichen Solostimmen war der getragene, parlandohafte Stimmverlauf in plastischer Weise gewährleistet. Clemens Kerschbaumer und Daniele Macciantelli hatten markant und sauber geführte Stimmen, ebenso Grga Peroš in der Rolle des Joseph, mit dessen Timbre der fragilere Sopran Naroa Intxaustis als Maria gut harmonierte. Die Frankfurter Singakademie pflegte einen sehr schön gemischten, breiten Chorklang. Die große, wenngleich dynamisch meist sparsam gebrauchte Instrumentalbesetzung brachte dank des Philharmonischen Orchesters Gießen mit zarten Farben und feiner Lasur Leuchtkraft ins gedämpfte, krippen- und dreikönigsfreie Weihnachtsbild.
Bernhard Uske, 10.12.2019, Frankfurter Rundschau