Baggerfahrer und Stasispitzel, Poet und Sozialist. Gerhard Gundermann vereinte die Extreme der DDR in sich. Christian Lugerth erinnert in seiner Text-Musik-Collage »Gundermann - Tankstelle für Verlierer« mit »Gundis« Liedern auf der Studiobühne nun den Westen an den Osten.
Es muss auf die DDR-Bürger wie Hohn gewirkt haben. Da stand doch seit 1969 tatsächlich eine Weltuhr auf dem Alexanderplatz im Berliner Osten, auf der die aktuelle Zeit vieler Städte auf dem Globus angezeigt wurde. Doch selbst einmal in diese Städte zu reisen, war den meisten Menschen im Arbeiter- und Bauernstaat verwehrt. Und so fügt es sich gar trefflich, dass Lukas Noll ausgerechnet jene Weltuhr für das Bühnenbild zum Stück »Gundermann - Tankstelle für Verlierer« nachgebaut hat, mit dem Regisseur Christian Lugerth nun auf der taT-Studiobühne versucht, »den Westen an den Osten zu erinnern«. Rund 20 Lieder des baggerfahrenden DDR-Liedermachers Gerhard Gundermann liefern das Gerüst für die Mischung aus Konzert, Spielszenen und persönlichen Bekenntnissen, die sich unter dem Rund der Uhr in einer Symbiose aus Tagebau-Kantine und Probenraum abspielt.
Man merkt dem gut zweistündigen Abend an, dass Lugerth in Gundermanns Entdeckung - in der DDR war der ein Star, im Westen nahezu unbekannt - sein ganzes Herzblut gesteckt hat. Viel im Westen nicht unbedingt vorauszusetzendes Wissen über Gundermann wird dabei angenommen, was in den ersten Spielszenen das Verstehen nicht gerade einfach macht. Gut, dass das Publikum hier zumindest im Programmheftchen durch Dramaturgin Carola Schiefkes Text in Kenntnis gesetzt wird.
Collage aus Liedern und Texten
Es sei aber nicht die Person Gundermanns gewesen, die ihn so fasziniert habe, hatte Lugerth seine Textfassung vorab im Interview erläutert, sondern die unfassbar tief gehenden Texte des Rockpoeten. Und tatsächlich: die von Lugerth, Esra Schreier, David Moorbach und Sascha Bendiks multiinstrumental und mit ungeschöntem Gesang vorgetragenen Songs rühren auch heute noch an. Zu den eingängigen, etwas simplen Ohrwurmmelodien wippen viele Zuschauer mit dem Fuß mit, die Texte voller Melancholie und Heimatverbundenheit lassen auch Wessis nicht kalt. Diese Lieder sind, wie Gundermann es sich gewünscht hatte, eine »Tankstelle für Verlierer«, Labsal für die vom sozialistischen Machtgehabe gepeinigten Seelen und all jene, die in der Wendezeit ihre Jugend verbracht haben.
Zwischen den Liedern gibt es immer wieder kurze Spielszenen, die die von Thomas Döll in typische Achtziger- und DDR-Tagebau-Klamotten gekleideten Darsteller sprechen. Was zuweilen etwas hölzern daherkommt, sind Schlaglichter aus dem DDR-Alltag: Pausengespräche über die Arbeitsbedingungen im Sozialismus, Liebesleid oder Planerfüllung. Für Wessi-Ohren entbehrt das nicht einer gewissen Komik, die auch im ironischen Text »Die Kuh im Propeller« von Michail Sostschenko anklingt. Immer wieder werden Texte von DDR-Autoren rezitiert, die sich am Staat und dem real existierenden Sozialismus abgearbeitet haben: Heiner Müller, Thomas Brasch, Volker Braun, Inge Müller. Auch Gundermann selbst kommt zu Wort, wenn aus Hans-Dieter Schütts Buch »Tankstelle für Verlierer - Gespräche mit Gundermann« zitiert wird. Auf einer Tafel im Hintergrund leuchten die entsprechenden Quellenangaben auf. Das Stück erzählt nicht Gundermanns Biografie nach, sondern ist eher ein Kaleidoskop der DDR-Geschichte, dem man eine gewisse Ostalgie nicht absprechen kann. »Ich denke, Sozialismus ist der einzig mögliche Ausgang der Geschichte. Wobei ich unter Sozialismus keine Ideologie verstehe, sondern einfach das Gegenteil von Egoismus«, lautet ein Gundermann-Zitat, das als Grundgedanke über der Inszenierung schwebt. Aber die Geschichte hat eben auch gezeigt, dass die Realität eine andere ist.
Eine Pause bildet eine Zäsur im Stück, so wie der Mauerfall für die Menschen in der DDR ein Einschnitt war - eine »Naturgewalt« und nicht das Ergebnis einer geplanten Revolution mit dem Ziel, so wie im Westen zu leben. Gundermanns Stasi-Spitzeltätigkeit wird aufgedeckt, in Hoyerswerda fliegen Molotowcocktails gegen ein Flüchtlingsheim, viele Menschen verlieren Arbeit, Lebensgrundlage und Heimat - und Gundermanns Lieder liefern den Soundtrack für das Gefühl dieser Zeit.
Zeit zur Erinnerung an den Osten
Ihm gehören auch die letzten Minuten des Stücks, wenn sein Lied vom friedlichen Abend erklingt. Aber auch Richard Schröder, der für die SPD sowohl in der Volkskammer als auch im Bundestag Abgeordneter war, wird zitiert mit dem Satz, dass der Westen »mit dem bisschen Anderssein der Menschen im Osten überfordert« scheint.
Wie fremd, und doch so nah die Realität in DDR und BRD war und immer noch ist, hat dieser Gundermann-Abend deutlich gemacht. Es ist eben Zeit, wie von Lugerth beabsichtigt, den Westen an den Osten zu erinnern, damit endlich einmal im positiven Sinne »Gras« über die deutsch-deutsche Geschichte wachsen kann, wie es das nach begeistertem Premierenapplaus als Zugabe gespielte Gundermann-Lied gleichen Titels assoziieren lässt.
Karola Schepp, 16.11.2019, Gießener Allgemeine Zeitung