„AC/DC“ mit Man­do­li­ne, Di­sco-Hits mit Iro­nie – Gießener Anzeiger
02.10.2018

Sa­scha Ben­diks und Si­mon Hö­ness mit ori­gi­nel­len Rock-Va­ria­tio­nen auf der taT-Stu­dio­büh­ne

Die Be­su­cher der taT-Stu­dio­büh­ne lan­de­ten am Sonn­tag „In Teu­fels Kü­che“. Al­ler­dings war das kei­ne Qual, son­dern ei­ne höchst ver­gnüg­li­che An­ge­le­gen­heit. Sa­scha Ben­diks und Si­mon Hö­ness tru­gen schon zum zwei­ten Mal in Gie­ßen zu ih­rem Ti­tel­the­ma vor, und ih­re vir­tuo­se Mi­schung ver­schie­dens­ter Rock-, Pop- und nicht zu­letzt Hea­vy-Me­tal-Mu­sik mach­te vom er­sten Mo­ment an ei­nen Rie­sen­spaß.

Sanf­ter Ein­stieg

Ge­rüch­ten zu­fol­ge ist ja die Höl­le die an­ge­neh­me­re Hälf­te der Nach­welt, und wenn es dort so zu­geht wie am Sonn­tag­abend im taT, dann ist al­les in But­ter. Es soll Rock’n’Roll ge­ben, kün­digt Ben­diks an, al­ler­dings im Duo, und es sind ja auch nur ein Kla­vier, ei­ne Gi­tar­re und ei­ne Man­do­li­ne auf der Büh­ne zu se­hen. Al­so Kam­mer­mu­sik? Erst­mal gibt’s ein Man­do­li­nen-In­tro, ganz sanft be­ginnt die Show da­mit im Dun­keln, Hö­ness geht ans Kla­vier, Ben­diks ans Mi­kro. Die Mu­sik „geht di­rekt in den Bauch“, sagt er, oh­ne mit der Wim­per zu zu­cken, „das ist in­tel­lek­tu­ell nicht greif­bar“.

Macht gar nichts, denn der Strom ver­schie­dens­ter Rock­ti­tel, der jetzt aus­bricht, ist so kraft­voll, dass je­der mit­muss. Kra­cher wie „Van Ha­lens“ „Jump“ und „AC/DCs“ „Hells Bells“, die sonst im Sound­ge­wit­ter gan­zer Sta­dien ex­plo­die­ren, sind hier in ei­ner fast kam­mer­mu­si­ka­li­schen An­mu­tung zu hö­ren.

Und Ben­diks, der auch die mu­si­ka­li­sche Lei­tung der wie­der­auf­ge­leg­ten „Rio Rei­ser“-Pro­duk­ti­on ver­ant­wor­tet, er­weist sich als ex­zel­len­ter Sän­ger. Sein Te­nor ist ganz sau­ber, fast schon zu kli­nisch für Rock, und sein Ge­sang ist rand­voll mit Ge­fühl. Zu­dem singt er ein per­fek­tes Eng­lisch. Auf der Man­do­li­ne – die elek­tri­sche Gi­tar­re braucht er nur ein­mal an die­sem Abend – lie­fert er ei­ne gleich­sam vo­lu­men­mä­ßig ver­ring­er­te Ver­si­on der Mu­sik, spielt aber zum Bei­spiel ein kom­pli­zier­tes „AC/DC“-So­lo prä­zi­se nach, fast schon iro­nisch.

Ne­ben Ben­diks glänzt Si­mon Hö­ness am Kla­vier. Mit bril­lan­tem Klang (die Über­tra­gung im taT ist her­vor­ra­gend, klar und na­tür­lich, auch das Licht pro­fes­sio­nell und sen­si­bel) und mit ei­nem be­ein­drucken­den Ein­falls­reich­tum lie­fert er die har­mo­ni­schen Ele­men­te, um dem Auf­tritt Kör­per und Aus­druck zu ver­lei­hen. Zu­dem agiert er als zwei­te Stim­me, fügt manch­mal ei­ne Me­lo­di­ka hin­zu und agiert als kon­ge­nia­les Al­ter Ego. Sei­ne ge­nau kal­ku­lier­te ko­mi­sche Mi­mik setzt öf­ter mal ei­nen köst­li­chen Ak­zent – auch er ist ein Schelm.

Sonst spielt er Mo­dern Jazz, sagt Ben­diks. Der wie­der­um nutzt auch ein Ak­kord­eon und rea­li­siert da­mit ei­ner­seits die neue­re jaz­zi­ge Ver­wen­dung des In­stru­ments wie sei­ne Fä­hig­keit, ein­fach wun­der­schö­ne Flä­chen ein­zu­fü­gen und sub­til ein- und aus­schwin­gen zu las­sen; ganz zu schwei­gen von sei­nem ex­zel­len­ten Harp-Spiel.

So lauscht man ver­sun­ken den Hits der Ver­gan­gen­heit („Hells Bells“, „Smo­ke On The Wa­ter“) und hört fas­zi­niert, was die bei­den da­raus ma­chen, prak­tisch ei­nen Wie­der­auf­bau mit an­de­ren Mit­teln.

Köst­lich ist die vor Iro­nie trie­fen­de Ver­si­on von „Bac­ca­ras“ „Yes Sir, I Can Boo­gie“, die zu­gleich ana­ly­tisch vom schlag­er­taug­li­chen Hy­gie­ne­ni­veau auf ih­re Rock‘n‘Roll-Ba­sis zu­rück­ge­führt wird. An­de­re Ti­tel wer­den in ei­ne Pol­ka trans­po­niert oder was den bei­den Mu­sik­ern sonst noch so al­les an sti­li­sti­schen Aus­flü­gen ein­fällt.

Dy­lan zum Fi­na­le

Gran­dios ist die Ver­si­on des „Queen“-Hits „Bo­he­mi­an Rhap­so­dy“, den Bob Dy­lan „zwar ge­schrie­ben, aber nie auf­ge­nom­men oder öf­fent­lich ge­spielt hat“, schä­kert Ben­diks, „wahr­schein­lich, weil er viel zu vie­le Ton­ar­ten ent­hält.“ Und dann pa­ro­diert er die Fol­krock-Iko­ne Dy­lan, de­tail­liert und irr­sin­nig ko­misch. Das Gan­ze morpht zu­gleich in ei­ni­ge an­de­re Ti­tel hin­ein. Die bei­den Gäs­te ver­dich­ten in Gie­ßen die Mu­sik gleich­sam zu ei­ner Ge­samt-Rock­dich­tung. Wun­der­schön me­lan­cho­lisch ge­lingt auch „To­kio Ho­tels“ „Run, Run, Run“. Rie­sen­bei­fall, und als Zu­ga­be noch ei­ne tol­le Fas­sung von „Me­tall­icas“ „Not­hing El­se Mat­ters“, fried­voll und lei­den­schaft­lich. Ein ganz be­son­de­rer, in­no­va­ti­ver Abend.


Heiner Schultz, 02.10.2018, Gießener Anzeiger