Fressen und gefressen werden. So ist das nicht nur bei den Kannibalen. Die satirische Kammeroperette »Häuptling Abendwind« wird im taT frisch angerichtet. Ergebnis ist ein Geschmackserlebnis, das auf der Zunge zergeht.
Sein Appetit ist groß: Kannibalenhäuptling Abendwind richtet sich in der Südsee fürs Staatsbankett, doch seine Speisekammer ist leer. Da kommt ein unbekannter Jüngling, der Opfer eines Sturms wird, gerade recht. Schon wetzt der Chefkoch seine Messer. Was nach Fast Food klingt, wird zu einem Abend voller Leckerbissen. Das Publikum, im Halbkreis auf Stühlen und zum Teil auf Liegestühlen um die Drehbühne herum platziert, genießt ein häppchenreiches Vergnügen. Die abstruse Operette »Häuptling Abendwind« von Jaques Offenbach und Johann Nestroy aus der Mitte des 19. Jahrhunderts mausert sich im taT zum Erlebnis. Nach der Premiere am Samstagabend tobt und trampelt das Publikum im Kleinen Haus minutenlang.
Regisseur Wolfgang Hofmann, in Gießen bislang in Theaterproduktionen erfolgreich am Ruder, garniert das bei Offenbach als Satire unter dem politischen Motto »Fressen und gefressen werden« angelegte und von Nestroy als »Faschingsburleske« umgedeutete Stück im Detail aus. Den Text hat Hofmann neu zubereitet und charmant angerichtet. Nun mundet das gut gewürzte Mahl besonders in Mittelhessen, ohne im Halse stecken zu bleiben. Die scharf angebratenen Pointen haben Biss, sind aber leicht verdaulich, gehen nicht unter die Gürtellinie.
Die muskelkraftbetriebene Drehbühne von Katja Wetzel beherbergt eine Palme und das siebenköpfige Kammerorchester. Die gelungene Orchestrierung hat Kapellmeister Martin Spahr übernommen. Die musikalische Leitung liegt in den Händen von Wolfgang Wels, sein Ensemble (Klavier, Querflöte, Klarinette, Oboe, Fagott, Horn und Cello) agiert in Badelatschen und mit Zöpfchen.
Musikliebhaber kommen auf ihre Kosten. Es gibt Anspielungen im Wortsinn. In der Kamm-Szene ist Mozarts Papageno-Motiv aus der »Zauberflöte« zu hören, ein paar Takte aus Lortzings »Zar und Zimmermann« ertönen und auch der »Leiermann« aus Schuberts »Winterreise« hat Konjunktur. Kapitän Wels am Flügel hält Kurs und glättet mit seinem Südsee-Orchester jede Woge. Regisseur Hofmann integriert die Musiker geschickt in die Handlung.
Tomi Wendt ist als Abendwind in seinem Element. Mit sonorer Stimme zeichnet er einen bajuwarisch klingenden Inselherrscher, der diabolisch dreinschaut. Er will die Zivilisierten (das Publikum) verspeisen, gibt sich aber seinem Volk gegenüber (noch mal das Publikum) staatsmännisch worthülsengewandt. Wendt parodiert mit eingezogenem Hals auch mal Franz Josef Strauß – der Bassbariton hat Spaß an seiner Partie.
Karola Pavone im grünen Blätterkleid (Kostüme: Teresa Rinn) verkörpert das Menschenfresser-Gör Atala mit Herzblut, überzeugt stimmlich wie mimisch. Das gelingt auch Tenor Clemens Kerschbaumer in der Rolle des Arthur, der alle Blicke auf sich zieht. Thomas Nuhn, von Haus aus Beleuchter am Stadttheater, sorgt in seiner Sprechrolle als Koch mit hessischem Zungenschlag für Lacher.
Dan Chamandy ist ein Tenor von hohen Gnaden und sich im Biberhahn-Outfit für keinen Gag zu schade. Er und Wendt machen aus dem Einakter einen Publikumsmagneten. Beider »Hula-Hula«-Couplet mit Tanzeinlage reizt zum Dauergrinsen. Überhaupt muss dieses vollmundige Stück in der nächsten Spielzeit neuerlich auf den Tisch. Dann vielleicht sogar im Großen Haus. Aberwitzige Chuzpe (und Musiker auf der Drehbühne) gibt es genug. Ein Podest bis in die ersten Reihen zum unvermittelten Agieren garantierte hier ein ebenso hautnahes Erlebnis wie im taT.
Manfred Merz, 28.11.2016, Gießener Allgemeine Zeitung