27-jährige Französin Marie Jacquot lud zu mitreißendem Jagdabend im Stadttheater ein
Lang, lang ist’s her. Seit der Griechin Maria Makraki und der US-Amerikanerin Amy Anderson im Jahr 2002 hat keine Frau mehr am Dirigentenpult des Philharmonischen Orchesters Gießen gestanden. Energiesprühend und beherzt zupackend bereitete nun die 27-jährige Französin Marie Jacquot dieser langen Frauenpause ein Ende. Und ausgerechnet mit einem der männlichsten Themen überhaupt, der Jagd, ließ sie im Sinfoniekonzert am Dienstagabend frischen Wind durchs Revier wehen. Das Stadttheater war bis unters Dach voll besetzt.
Die 1990 in Paris geborene Marie Jacquot ist studierte Posaunistin und derzeit stellvertretende Generalmusikdirektorin am Würzburger Theater.
Beim Klang der Jagdhörner denkt man unwillkürlich an eine verschworene Männergemeinschaft – oder an den Jägerchor im „Freischütz“, in dem es heißt: „Den Hirsch zu verfolgen durch Dickicht und Teich, ist fürstliche Freude, ist männlich Vergnügen.“ Im schwarzen Hosenanzug, schlank, agil und mit gewinnender, sympathischer Ausstrahlung zeigte die junge Dirigentin, dass sie sich beim Einbruch in die typisch männliche Domäne eigentlich recht wohl fühlt. In zwei kurzweiligen Stunden mit Kompositionen rund um die Jagd war deutlich zu spüren, wie sich diese positive Ausstrahlung auf die Musiker und natürlich auch das Publikum übertrug. Gute Laune lag in der Luft, und das Orchester agierte mit perlender, geradezu überschäumender Spielfreude.
O je, die Naturhörner, dachte man, als es gleich zu Beginn in der Ouvertüre „La chasse du jeune Henri“ des französischen Komponisten Étienne-Nicolas Méhul ziemlich holperte und einem sofort die völlig missglückte „Wassermusik“ mit diesen Instrumenten in Erinnerung gerufen wurde. Doch es blieben erfreulicherweise die einzigen Wackler an diesem Abend, der mit der folgenden „Grande Fanfare“ D-Dur von Gioachino Rossini so richtig Fahrt aufnahm. In dem romantischen, effektvollen Stück waren die vier Hornisten Martin Gericks, Alvaro Artunedo Garcia, Berthold Cremer und Victor Lozano Mariano vor dem Orchester postiert und dort lieferte das Quartett blitzsaubere Arbeit ab. Zur Musik, die eine wilde Jagd über Stock und Stein malte, ließen sie die Jagdsignale mächtig erschallen. Dabei fiel vor allem der weiche Klang der Naturhörner auf.
Über Stock und Stein
Den Schwung aus diesem rasanten Stück nahmen die Ausführenden mit in Joseph Haydns Sinfonie Nr. 73 D-Dur mit dem Beinamen „La Chasse“. Mitreißend und punktgenau dirigierend, zog Marie Jacquot auch hier die Zügel an. So war im Kopfsatz mit seinem ständigen Pochen alles im Fluss und sehr dynamisch aufgefasst. Höhepunkt des Werks – und auch der Wiedergabe durch das Philharmonische Orchester – war das furiose Finale im dahinjagenden 6/8-Takt mit solistisch eingefügten Bläserpassagen, die einen alten Jagdruf zitieren.
Nach emotionsgeladenen Klängen, die in Luigi Cherubinis Ouvertüre zu seiner Oper „Médée“ von enttäuschter Liebe, Hass und Rache erzählen, kam mit der Sinfonie Nr. 25 g-Moll KV 1983 eines der frühen Werke Mozarts zur Aufführung. Anregend durch die Sinfonien Haydns hat der 17-Jährige ein „Sturm und Drang“-Werk geschaffen, das im unruhigen Anfangssatz mit schroffen Kontrasten daherkommt. Hier zeichnete sich das Orchester wieder durch eine ausgesprochen dynamisierte Wiedergabe aus. Durch die Besetzung mit gedämpften Streichern und Fagotten blieb die düstere Atmosphäre auch im Andante erhalten, bis im eindringlichen Finale der leidenschaftliche Affekt triumphal zurückkehrte.
Das Beste kam allerdings zum Schluss: Für den herzlichen Beifall bedankten sich die Dirigentin und das Orchester mit Beethovens Ouvertüre „Die Geschöpfe des Prometheus“ als Zugabe. Im Spiel lag so viel Herz, dass die Bravorufe im Anschluss gar nicht ausbleiben konnten.
Au revoir, Madame Jacquot, kommen Sie bald wieder nach Gießen und dirigieren Sie dann bitte wieder Beethoven!
Thomas Schmitz-Albohn, 18.01.2018, Gießener Anzeiger