Liebeskomödie "Eine Sommernacht" im tAT Gießen mit Tempo, Musik und Witz
Zwei Menschen treffen in einer Bar aufeinander, lernen sich kennen und schließlich auch lieben. So weit, so gewöhnlich. Doch wie dann Anne-Elise Minetti und Lukas Goldbach als Helena und Bob in einer verregneten Sommernacht durch Edinburgh stolpern, das zeigt auf schönste Weise, was im Theater alles möglich ist. Es gibt temporeiche Dialoge, wohldosierte Komik, sensible Livemusik - und eine grandiose Sexszene, die ganz ohne Körperkontakt auskommt. All das auf einer Bühne, die auch die Zuschauer zu Barbesuchern macht und nahezu auf Augenhöhe am Geschehen teilhaben lässt. Am Donnerstagabend feierte "Eine Sommernacht" in der Regie von Klaus Hemmerle Premiere auf der tAT-Studiobühne.
Der schottische Dramatiker David Greig (Jahrgang 1969) lässt in seinem Zweipersonenstück komplett unterschiedliche Charaktere aufeinandertreffen. Da ist zum einen die elegante Helen, eine Scheidungsanwältin, die wegen einer perspektivlosen Affäre mit einem verheirateten Mann mit sich hadert. Und zum anderen der abgebrannte Kleinkriminelle Bob, der sich mehr schlecht als recht durchs Leben laviert, ohne sich selbst darüber klar zu sein. Gemeinsam ist ihnen nur eins: Sie sind 35 Jahre alt und an einem Tiefpunkt angelangt.
Wie diese beiden Menschen nun erst in einer Bar, dann im Bett und zu guter Letzt auch emotional zusammenfinden, das bringen Minetti und Goldbach mit enormem Einsatz und großer Spielfreude auf die Studiobühne. Viele Requisiten brauchen die glänzend harmonierenden Ensemblemitglieder des Stadttheaters nicht, um die Geschichte sichtbar werden zu lassen. Regisseur Hemmerle und sein Bühnenbildner Ralph Zeger haben ihnen dazu eine knallrote Bar gebaut, die den Schauplatz in eine Art geschlossene Kampfarena verwandelt, von deren Tresen aus die beiden Schauspieler komplett umschlossen sind. So werden die Zuschauer auf ihren Barhockern zu bisweilen auch direkt angespielten Zeugen aus nächster Nähe und so in den Sog hineingezogen, den diese rasant erzählte und mit viel groteskem Witz versehene Story entfaltet.
Dazu gehört es etwa, durchzuspielen, welche unterschiedliche Wirkung ein Satz haben kann, wenn sich die Tonlage verändert. Wenn also die gerade versetzte Helena den in einer Barecke vor sich hinbrütenden Bob anspricht, weil sie einen Trinkkumpan für einen Abend sucht, kann das flehend, säuselnd oder herrisch klingen - das Publikum bekommt alle drei Versionen geboten.
Kabinettstückchen wie dieses gibt es viele in den nahezu ohne Längen auskommenden 100 Minuten Spielzeit. Dazu zählen Rückblenden, innere Monologe und kurze Rollen- und Szenenwechsel, die die Geschichte antreiben. Regisseur Hemmerle, der in Gießen bereits etwa "Der tolle Tag" und Hotel Savoy" inszeniert hat, verglich den Bühnenstoff im Pressegespräch zuvor treffend mit einer Mischung aus "Trainspotting" und "Vier Hochzeiten und ein Todesfall", zwei großen Kinofilmen, die ebenfalls in Schottland spielen und mit brachialer Komik glänzten.
Sprache wird zu Bildern
Doch "Eine Sommernacht" ist eben Theater - und das bedeutet, dass die Bilder in den Köpfen des Publikums entstehen können und sollen. Das gelingt in diesem Fall hervorragend, weil der versierte Dramatiker David Greig für eine perfekte Mechanik der Vorlage sorgt, die mit enormem Tempo und immer wieder neuen Wendungen überrascht. Und weil die beiden Darsteller hervorragend verstehen, diese Beziehungsgeschickte mit Leben zu füllen, indem sie Sprache zu Bildern werden lassen. Dazu gehört auch das Kommunizieren per Handy und SMS, für das Minetti und Goldbach nicht mehr als die eigene Stimme und ein Mikrofon brauchen. Und dazu gehört, dass die beiden Schauspieler auch ihre musikalischen Talente nutzen und die Geschichte immer wieder mit Akkordeon und Gitarre (musikalische Leitung: Christian Keul) sowie Folkrock von Gordon McIntyre anreichern.
Dass den beiden überdrehten Sinnsuchern dann irgendwann ein Parkscheinautomat den Weg ins Freie weist, ist nur eine von unzähligen Pointen, die diese Inszenierung zu allerbester Theaterunterhaltung machen.
Nächste Vorstellungen: 17. November, 2., 14., 31. Dezember, jeweils um 20 Uhr auf der tAT-Studiobühne.
Björn Gauges, 11.11.2017, Gießener Anzeiger