Zweite Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters mit Beethoven und Schostakowitsch
Beethoven und Schostakowitsch – zwei prägende Komponisten ihrer Zeit – war das zweite Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Gießen am Dienstagabend im Stadttheater gewidmet. Konnte das funktionieren?
Auf dem Programm standen die dritte Leonoren-Ouvertüre von Ludwig van Beethoven (1770–1827), das zweite Klavierkonzert in F-Dur op.102 und die neunte Sinfonie, beides von Dmitri Schostakowitsch (1906 – 1975).
Der jugendlich wirkende, in der Steiermark geborene Gastdirigent Erich Polz führte mit dem Orchester einen höchst konstruktiven Dialog. Pölz und Beethoven: Das war ein Gespann, das passte. Der Österreicher ließ dem Orchester den Freiraum, den es für die düsterere und gewaltige Atmosphäre in der Leonoren-Ouvertüre brauchte.
Diese Komposition ist ein musikalisches Kleinod Beethovens: Sie war als Ouvertüre für seine damals höchst politisch intendierte Oper „Fidelio“ komponiert, in der es um die Befreiung des Menschen und des Geistes geht. Doch Beethoven tat sich schwer mit dieser Oper. Seine idealistischen Ideen wollte er szenisch und musikalisch manifestieren. Beethoven war kein Opernkomponist, sein Genre war die Philharmonie, denn auch die damaligen theatralischen Mittel konnten den Stoff nicht wirklich umsetzen. Die Oper fiel bei der Uraufführung grandios durch. Er überarbeitete den Stoff erneut und komponierte die dritte Leonoren-Ouvertüre. In ihr komprimiert er die gesamte Handlung der Oper: Innerhalb einer Viertelstunde sind sämtliche Themen angespielt, verarbeitet und abgeschlossen. Dies ist geradezu prädestiniert für die Eröffnung eins Konzertabends. So ganz nebenbei hatte Beethoven ein neues Genre geschaffen, das der Konzertouvertüren.
Für die exzellente Klavierspielerin Sabine Weyer war das zweite Klavierkonzert von Schostakowitsch, welches thematisch zu der neunten Symphonie von Schostakowitsch führte, keine Herausforderung. Schostakowitsch hatte dieses Musikstück für die Aufnahmeprüfung seines Sohnes Maxim am Konservatorium komponiert. Durfte das Orchester bei Beethoven groß und gewaltig erscheinen, so nahm Polz es hier regelrecht an die Kandare und zeigte so, wo der Fokus lag: auf dem leichtfüßigen Klavierspiel der charmanten Pianistin.
Mit großer Spannung wurde schließlich Polz‘ Interpretation der neunten Symphonie von Schostakowitsch erwartet. Der Russe komponierte sie zum Ende des Zweiten Weltkrieges und erwartet wurde, dass daraus eine Sieges- und Triumph-Symphonie für den siegreichen Diktator Stalin daraus würde. Dem war nicht so. Sicher wurden auch große Erwartungen an sie gelegt, trägt sie mit der Nummer neun doch die gleiche Nummer wie die große Symphonie von Beethoven. Doch Schostakowitsch hielt sich nicht an die Erwartungen: Zwar ist formal alles drin, jedoch kaum zur Huldigung einer Siegermächten geeignet, ist in Musik gefasste Ironie. Dies konnte von den Stalinisten so nicht hingenommen werden. Sie fiel bei der Uraufführung am 3. November 1945 durch und Schostakowitsch in Ungnade. Erich Polz verstand es, diese Ironie und musikalischen Ausrufezeichen mit dem Orchester herauszuarbeiten: mal laut und polternd, mal melancholisch und leise und immer ein wenig zu viel von allem. Besonders hervorzuheben ist die Sololeistung von Maria Oliveira-Plümacher am Fagott. Ihr überreichte Polz seinen Blumenstrauß. Zu Recht.
Beethoven und Schostakowitsch: Das hat funktioniert – dank einer bedachten Musikauswahl und dem konzentrierten Dirigat des jungen Erich Polz.
Barbara Czernek, 12.10.2017, Gießener Anzeiger