Der Horror hat im Theaterstudio Einzug gehalten. Das Live-Hörspiel »In Ewigkeit« von Milan Pešl und Claudia Weber jagt den Zuhörern herrlich gruselige Gänsehaut über den Rücken.
Horrorgeschichten – die finden meistens im Kino statt. Doch Stadttheaterschauspieler Milan Pešl und seine Partnerin Claudia Weber bringen den Horror nun auf die Bühne – und haben dafür mit ihrem Live-Hörspiel »In Ewigkeit« eine ungewöhnlich intensive Form gefunden, die den Zuhörern via Kopfhörersystem quasi direkt ins Hirn geht. Dem Grauen, diesem Totentanz der Töne, kann man sich nicht entziehen und hört 75 Minuten lang gebannt zu.
Zu sehen gibt es aber trotzdem auch jede Menge. Wenn Geräuschemacherin Suse Pfister an ihrem Tisch im Hintergrund geschickt mit Pfannen und Töpfen hantiert, hört man, wie in der Küche einer obskuren Herberge gebruzzelt wird. Wenn sie ein Kissen knetet, fühlt man sich unmittelbar dabei, wenn Protagonistin Agnes die Pein ihrer gebeutelten Seele hinausschreit.
Fast alle Geräusche werden live – vor den Augen und Ohren der Zuschauer – auf der Bühne erzeugt, in einem streng schwarz-weiß gehaltenen Setting und mit dem Tonmischpult sichtbar am Rande der Szene (Live-Mix: Timo Hagemann, Jaqueline Schmidt). Milan Pešl an der E-Gitarre und Marcel Rudert an Keyboards und Percussionabteilung sorgen für schaurig-musikalische Untermalung, während die Schauspieler an ihren kleinen Tischen sitzend ins Mikrofon sprechen, flüstern, atmen. Jede noch so feine Lautäußerung ist hörbar.
Spiel mit dem Obskuren
»In Ewigkeit« spielt mit dem Obskuren, dem Parapsychologischen, ohne in die gängigen Horrorfilmklischees zu verfallen. Was hier geschieht, erschließt sich auf vier Zeitebenen, springt zwischen Psychiatrie, einem esoterisch inspirierten Tagungshotel, einst als Internat genutzt, und dem Schlafzimmer eines jungen Mädchens hin und her. Da muss man schon ganz schön aufpassen, um die Geschichte Stück für Stück zusammenzupuzzeln und nicht zwischendurch den Faden zu verlieren. Zumal die permanente Untermalung mit Hintergrundgeräuschen und Stimmverzerrungen weitere Aufmerksamkeit auf sich zieht.
Bei »In Ewigkeit« geht es um Agnes, gesprochen von Ewa Rataj, die in ihrer Kindheit von Visionen gepeinigt, in einem Internat vom Direktor als Medium missbraucht und von den Mitschülern geschmäht wurde und nun, 20 Jahre später, zufällig als Reporterin wieder am Ort ihrer traumatischen Kindheit übernachten soll. Fürchterliche Erinnerungen kommen hoch und die Nacht endet in einem einzigen Fiasko. War Agnes für den Tod ihrer Mitschüler verantwortlich? War das Mädchen vom Teufel besessen oder lässt sich das, was geschehen ist – und weiter geschieht –, nicht auch rational oder psychologisch erklären? Das mögen die Zuhörer selbst entscheiden und können sich schon jetzt auf ein spektakuläres Ende freuen.
Milan Pešl als Autor und Regisseur, Musiker und Sprecher spielt geschickt mit den abgegriffenen Blockbuster-Horrorfilm-Schockelementen im Stil von »Requiem« oder »Der Exorzist«. Auch hier gibt es ein eisigkaltes Zimmer. Auch hier lächelt Agnes, die zuvor nur von hinten zu sehen war, plötzlich diabolisch ins Publikum. Auch hier hört man Donner und wird ein harmloses Schlaflied zur Schauermelodie. Doch alles bleibt subtil – fast ausschließlich transportieren Sprache, Töne und Klänge das Grauen.
Lotta Hackbeil und Carolin Weber schlüpfen gleich in mehrere, gut unterscheidbare Nebenrollen. Und Roman Kurtz gibt den naiv-besorgten Ehemann von Agnes und zugleich ihren unterkühlt wirkenden Psychiater. Ewa Rataj ist als Agnes mal das von seinen Todesvisionen völlig verstörte Kind, das im »Exorzist«-Stil Obszönitäten brüllt, mal die von ihren Damönen der Vergangenheit gepeinigte Erwachsene, von der man nie so genau weiß, ob sie nun Opfer oder Täterin ist.
Wer Agnes‹ schauderhaft-schrilles Lachen gehört und ihren unergründlichen Blick erlebt hat, bekommt das so schnell nicht wieder aus dem Kopf. Auch Nicht-Horror-Fans wird so das Gruseln gelehrt – und sie werden es genießen.
Karola Schepp, 07.01.2018, Gießener Allgemeine Zeitung