Es gibt Tenöre, die klingen einfach unerhört. Angelo Villari ist so einer. Aber auch die anderen Sänger sind top. Verdis dramatische Oper »La forza del destino« wird im Stadttheater zum Fest der Stimmen.
Und dann haut er diese hohen Töne einfach mal so raus: Angelo Villari lässt bei seinem himmlischen Stadttheaterdebüt keinen Zweifel daran, wer der Platzhirsch ist in diesem Ensemble der starken Solisten. Wenn der Italiener als verliebter Alvaro vom Leder zieht, presst er den Zuschauer im Großen Haus mit seiner durchdringenden Stimme in den Sitz. Sein formbarer dramatischer Heldentenor der alten Schule klingt unerhört.
Einmal pro Spielzeit lockt das Stadttheater mit einer Oper ohne Inszenierung, mit einer konzertanten Aufführung. Am Samstagabend stand »La forza del destino« (Die Macht des Schicksals) von Giuseppe Verdi als Premiere auf dem Programm. Natürlich verfügt der hochromantische Stoff über eine kruden Inhalt: Die Liebe zwischen Leonora und Alvaro steht unter keinem guten Stern. Bei einem Streit löst sich per Zufall ein Pistolenschuss, der Leonoras Vater, den Marchese, tödlich trifft. Sofort gilt Alvaro als Mörder. Leonoras Bruder, der hitzköpfige Carlos, macht inmitten des Krieges Jagd auf den jungen Mann. Bis sich Leonora, Alvaro und Carlos im Kloster von Pater Guardian zum Showdown gegenüberstehen. Alvaro verwundet Carlos tödlich, der wie im Wahn die eigene Schwester ersticht. Alvaro bleibt allein zurück.
Gespielt wird die von Verdi überarbeitete Fassung, die italienische Erstaufführung aus dem Jahr 1869 mit dem geänderten Schluss samt versöhnlichem Terzett und zirpenden Harfenklängen. Die Uraufführung für die Oper St. Petersburg mit einem Ende, bei dem sich Alvaro vom Felsen in den Tod stürzt, datiert auf das Jahr 1862.
Musikalisch zieht Verdi alle Register, wenn er zwischen Liebe, Eifersuchtsdrama, Askese und Kriegsschauplatz hin- und herpendelt. Das Philharmonische Orchester Gießen zeigt unter der versierten Meisterhand seines Generalmusikdirektors Michael Hofstetter, wie sehr ihm die Romantik liegt. Das blitzsaubere Klarinettensolo von Anna Deyhle im Intro des dritten Akts steht stellvertretend für die hohe Musizierkunst des Orchesters.
Über Format verfügen auch die Sänger. Zum Beispiel der aus Bayreuth bekannte Andreas Hörl als Pater Guardian. Der bärige Bass imponiert bei seinem Stadttheater- debüt. Auch die junge Vero Miller als Zigeunerin Preziosilla lässt aufhorchen. Ihr Mezzosopran macht bei ihrem ersten Auftritt an der Lahn Sopranistin Dorothea Maria Marx das Leben schwer. Alexander Hajek als Carlos braucht etwas Zeit, um sich warm zu singen, bietet dann aber eine prächtige Partie. Bass Thomas Stimmel gibt einen empörten Marchese, Bariton Grga Peros einen impulsiven Klosterbruder. Der Chor (Leitung: Jan Hoffmann) lässt lautstarker Kriegstreiberei zarte Mönchsgesänge folgen. Und das Licht sorgt für inhaltliche Farbtupfer. Am Ende jubelt das nicht ausverkaufte Haus und spendet Standing Ovations für einen Spitzenabend mit einem Spitzenensemble.
Manfred Merz, 04.03.2018, Gießener Allgemeine Zeitung