Der Titel dieser Volksoper wirkt ein bisschen altbacken und nichtssagend. Dabei war Schwanda, der Dudelsackpfeifer mit über 2000 Vorstellungen zwischen 1927 und 1931 ein Welterfolg. Ehe der Antisemitismus dem Erstlingswerk des jüdischen Komponisten Jaromír Weinberger aus der Tschechei ein jähes Ende setzte. Das Theater Augsburg setzte es 2007 wieder auf den Spielplan und fünf Jahre später kam es zu einer Inszenierung an der Semperoper. Jetzt hat sich die Intendantin des Stadttheaters Gießen, Cathérine Miville, des Stücks angenommen und eine eigene Inszenierung vorgestellt.
Weinbergers Idee war so einfach wie genial. Gemeinsam mit Milos Kares und Max Brodt brachte er den aus der böhmischen Sagenwelt bekannten, munteren Volksmusikanten Schwanda und Babinsky, den historisch verbürgten Räuber mit Herz, in einem Stück zusammen. Schwanda ist glücklich mit Dorota verheiratet und lebt mit ihr auf einem Hof in einem tschechischen Dorf. Eines Tages taucht Babinsky auf dem Hof auf. Er überredet Schwanda, ihm in ein Reich zu folgen, in dem Königin Eisherz dringend auf musikalische Aufheiterung wartet. Die verläuft so gut, dass Eisherz Schwanda heiraten will. Während Dorota getreulich auf dem heimischen Hof auf den Liebsten wartet, wird der wegen ihr von der Königin dem Scharfrichter zugeführt. Babinsky rettet. Zurück auf dem Hof, nimmt ihm die Ehefrau die Treue nicht ab, bis Schwanda ruft, es solle ihn doch der Teufel holen. Der nimmt ihn beim Wort. Gelegenheit für Babinsky, Dorota seine Liebe zu gestehen. Die ihn schließlich verpflichtet, den Musiker wieder aus den Klauen des Satans zu befreien. Babinsky gelingt das, Schwanda kann endgültig zu Dorota zurückkehren und der Räuber zieht sich in die Wälder zurück.
Miville begnügt sich nicht mit einer Wiedergabe eines böhmischen Märchens, wie es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen um die Weihnachtszeit so gern zu sehen ist. Sie möchte ein Stück inszenieren, das nicht nur für die ganze Familie geeignet ist, sondern auch den Bezug zwischen gestern und heute herstellt. Das misslingt – glücklicherweise. Stattdessen entsteht eine Familienoper, die sich ganz und gar in der Fantasie verliert. Schöner kann es nicht sein. Wie das halt in wirklich guten Märchen so ist. Sämtliche Zeit- und Wirklichkeitsebenen werden aufgehoben, um letztendlich in der Botschaft zu münden, dass man der Hölle nur durch die Kraft der Musik entkommt.
Damit das funktioniert, hat Marc Jungreithmeier eine ungewöhnliche Bühne entwickelt. Die mittige Drehbühne besteht aus drei Podesten, die auch in der Höhe geändert werden können. Darüber sind verschiedene Aufzüge mit untereinander hängenden Kacheln angebracht. Die Kacheln eignen sich für das aufwändige Videodesign, das auf die Kacheln einzeln als auch als Gesamtbild projiziert werden kann. So gelingen schnelle Orts-, Stimmungswechsel und Texturen, die etwa die Hölle darstellen. Dazu passen die Kostüme von Monika Gora, die zwischen Charakterisierung, etwa bei der bäuerlichen Kleidung von Schwanda, Dorota und Babinsky, und überdrehter Fantasie wie beim Teufel schwanken. Da fällt das Licht von Christopher Moos, abgesehen von ein paar Verfolgern, kaum noch ins Gewicht. Nicht nur die ständig wechselnden Projektionen, sondern auch die Tanzeinlagen in der Choreografie von Inga Schneidt und Anthony Taylor sorgen für ständige Betriebsamkeit auf der Bühne, so dass die etwas mehr als zwei Stunden rasch verfliegen.
Zum gelungenen Gesamteindruck trägt auch das Ensemble bei. Allen voran Martin Berner, der einen ausgezeichneten Schwanda auf die Bühne bringt. Stimmlich brilliert sein Bariton bis in die Tiefen. Dabei zeigt er darstellerisch die nötige Naivität, ohne zu blödeln. Gesanglich ebenfalls höchst eindrucksvoll präsentiert Tilmann Unger als Babinsky ein breites Spektrum zwischen Heldentenor und Volksliedsänger. Aleksandra Rybakova ist als Dorota ebenfalls sehr gut besetzt. Ihr Debüt des stimmlich anspruchsvollen Parts meistert sie ohne Mühen. Dilara Baȿtar beglückt in der Rolle der Königin sowohl stimmlich als auch darstellerisch. In seinem kurzen Auftritt beeindruckt Magier Seungwoon Ezio Lee mit seinem Bass. Und Christian Tschelebiew spielt den Teufel glücklicherweise nicht zu überdreht, meistert aber die schwierig zu singenden Rezitative gekonnt. Chöre und Tänzer gefallen in jeder Beziehung, zumal sie über die Maßen beansprucht werden.
Dirigent Jan Hoffmann ist es, der den Wermutstropfen in den süffigen Wein schüttet. Er treibt das Philharmonische Orchester überflüssigerweise zu dynamischen Höchstleistungen an, ohne Rücksicht auf die Sänger zu nehmen. Da werden die Übertitel immer wieder wichtig, was natürlich den Genuss ein wenig trübt und die Ohren fast schon betäubt.
Cathérine Miville ist in der Tat eine Familienoper gelungen, die in ihrer lebhaften, bunten und vielgestaltigen Inszenierung überzeugt. Findet auch das Publikum, das mit Bravo-Rufen und kräftigem Applaus nicht spart.
Michael S. Zerban, 25.03.2018, Kulturmagazin O-Ton