Der blutleere Hund - Gießener Allgemeine Zeitung
17.01.2022

In Russland wird Satiriker Michail Bulgakow verehrt. Hierzulande bleibt die Bühnenadaption seines 1925 verbotenenen Romans »Hundeherz« über die Zustände im revolutionären Russland unter dem Titel »Das hündische Herz« am Stadttheater eher blutleer. Auch wenn sich Regisseur Wolfgang Hofmann Mühe gibt, der Geschichte eine psychologische Dimension abzugewinnen.

Oberflächlich betrachtet, sei Michail Bulgakows »Hundeherz« eine Satire auf die Zustände des revolutionären Russlands Anfang der 1920er Jahre, schreibt Dramaturg André Becker im Programmheft. Aber wäre der Text nicht mehr als das, »würde er heute keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken«. Und so hat das Stadttheater die Geschichte vom Straßenköter, der zum Hundemenschen umoperiert wird, in der Bühnenfassung »Das hündische Herz« von Alexander Nitzberg auf den Spielplan gehoben. Am Samstag war Premiere im Großen Haus - ein trotz kräftigem Applaus nicht überzeugendes Experiment.
Austin Seven - Unermüdlich und unverwüstlich auf der grünen Insel Irland unterwegs

Regisseur Wolfgang Hofmann hat sich zwar allerhand einfallen lassen, die laut Untertitel »fürchterliche Geschichte« so zu inszenieren, dass auch die Fragen nach dem was Mensch und Tier unterscheidet, der Suche nach dem Optimum und Liebe oder den moralischen Grenzen der Wissenschaft zum Tragen kommen. Doch das reicht nicht, um der Handlung, die im Original von Anspielungen auf den »Homo sovieticus« lebt, Tiefe zu geben. So wie das wissenschaftliche Experiment mit Lumpi scheitert, so bleibt auch das Stück irgendwie blutleer.

Botox-Klone und »Doktor Schiwago«

An der Inszenierung von Wolfgang Hofmann, den spektakulären Kostümen und dem facettenreichen Bühnenbild von Lars Peter sowie dem durchweg überzeugenden Engagement der Schauspieler liegt das nicht. Hofmann, Fachmann für Pointentreffer und bekennender Horrorfilmfan, gibt der skurrilen Farce ordentlich Pfeffer. Und er spielt mit den Stilmitteln: direkte Publikumsansprache, Slapstick-Einlagen, Wolga-Romantik, Gruselschocker. Er zelebriert die russischen Endlosnamen (auf die an dieser Stelle bewusst verzichtet wird) und garniert den Text mit so zahlreichen russischen Melodien, dass gefühlt immer irgendjemand auf der Bühne singt. Hier wird nicht nur immer wieder die Titelmelodie von »Doktor Schiwago« zitiert, dem Klischeefilm schlechthin über die russische Gefühlswelt. Hier lässt auch Frankenstein im Gruselkabinett des Prof. Filippowitsch grüßen - mit Freude an schaurigen Livereportagen aus dem Operationssaal oder klamaukigen Katzenquälereien.

Die Idee, die drei seelenlosen Wesen der Hausverwaltung, die die Wohnung des Professors (gewohnt souverän: Roman Kurtz) revolutionärsgerecht aufteilen wollen, als im Gleichschritt stolzierende Schaufensterpuppenklone mit Botox-Überdosis anzulegen, ist grandios (ein Ereignis: Carolin Weber, Vanessa Wirth, Paula Schrötter). Auch der Poser-Auftritt einer Gruppe »optimierungswilliger« Bodybuilder ist ein gelungener Einfall. Schließlich geht es in des Professors Praxis dank dessen Gier nach Anerkennung und seiner »Gott in Weiß«-Überheblichkeit um fragwürdige Eingriffe in den menschlichen Körper: Penisverlängerungen, die Transplantation von Bonobo-Eierstöcken in das Becken einer nicht mehr gebärfähigen Frau oder die erkaufte Abtreibung nach Missbrauch einer Zwölfjährigen - all das ist in diesem Gruselkabinett möglich. Nur das Einsetzen von Hoden und Hirnanhangdrüse eines aggressiven Bettlers (Dramaturg André Becker im überzeugenden Bühnenkurzeinsatz) in Lumpis Hundeleib geht gnadenlos schief. Statt zum neuen Idealwesen zu werden, wird der von Lukas T. Goldbach erst charmant dann rotzfrech-verzweifelt gespielte Lumpi als Lumpikow zum Schimpfwörter speienden, Frauen im Schritt schnüffelnden Ruhestörer in des Professors bourgeoisem Mikrokosmos. Nur die Zwangsrückoperation kann die Lage deeskalieren, bevor der Hundemensch von der Hausverwaltung am Ende tatsächlich noch zum komplett fehlbesetzten Katzenbeauftragten ernannt werden kann.

Das Bühnenbild von Lars Peter, eine doppelte Drehbühne mit gegenläufig beweglichem Mittelteil, gibt als eine Art überdimensionale schwarze Tonne mit diversen Öffnungen den Blick auf die Szenen immer wieder neu frei. Das ist gut gelungen. Und auch die Kostüme, die sich der strengen Schwarz-Weiß-Optik der Bühne anpassen, sind echte Hingucker. An Dr. Bornenthals (Pascal Thomas) Kopf prangt ein drittes Ohr, Hausmädchen Sinaida (Anne-Elise Minetti) wirkt wie mit japanischer Kintsuigi-Technik (Goldflicken) aus Bruchstücken zusammengesetzt und auch Lumpis äußerliche Verwandlung vom räudigen Straßenköter im grauen Fellmantel zum Proll im viel zu kleinen Anzug gefällt. Die mampfende Köchin (Tom Wild) im Esszimmer und die (zum Glück nur hörbaren) schaurigen Details aus dem OP-Saal - das Bühnenbild bringt all das mit Leichtigkeit zusammen.

Doch wenn am Ende der pausenlosen 90 Minuten der Professor »nach all dem Schrecken« eine »Gute Nacht« wünscht, bleibt man als Zuschauer auch ein Stück weit ratlos zurück. Warum musste diese Geschichte unbedingt erzählt werden? Wer darauf eine Antwort finden möchte, möge sich selbst ein Bild machen.


Karola Schepp, 17.01.2022, Gießener Allgemeine Zeitung