Der ganz persönliche Weltuntergang - Gießener Anzeiger
06.09.2021

Saisonstart am Schauspiel des Gießener Stadttheaters: Ensemblemitglied David Moorbach erzählt von einem Leben, das weit problematischer ist, als es zunächst scheint.

Optimismus ist nur ein Mangel an Informationen, befand einst der Dramatiker Heiner Müller. Das kann man so sehen - doch dieser namenlose Erzähler versucht es zunächst anders. Er redet sich die eigene Lage so schön wie möglich, was die Vergeblichkeit seines Versuchs allerdings umso deutlicher werden lässt. Von diesem ganz persönlichen Weltuntergang erzählt ein Einpersonenstück, mit dem die Schauspielsparte des Gießener Stadttheaters am Sonntagabend ihre Saisonpremiere feierte. Regisseur Lukas T. Goldbach, Mitglied des Gießener Ensembles, inszenierte eine Textvorlage von PeterLicht, mit dem der Kölner Musiker und Schriftsteller 2007 den renommierten Bachmannpreis gewonnen hatte: "Die Geschichte meiner Einschätzung am Anfang des dritten Jahrtausends".

David Moorbach spielt diesen Mann mittleren Alters, der eine gute Stunde lang in der taT-Studiobühne selbstvergessen über sein dramatisch missratenes Leben räsoniert. Dabei sitzt er in seinem Plastikstuhl auf einer Reihe von sich drehenden Waschmaschinen, die dem Stück mit ihrem sonoren Brummen zunächst den Rhythmus vorgeben. Der Mann trägt Arbeitskleidung, unauffällige schwarze Schuhe, aber auch einen locker um den Hals hängenden Seidenschal. Wo kommt er also her? In welchem Umfeld bewegt er sich? Was macht er beruflich? Ist das eigentlich ein Waschsalon? All das wird im Laufe des Stücks nicht weiter aufgeklärt. Der Mann widmet sich vielmehr grundsätzlicheren Fragen: Er kreist thematisch ums Geld, um die Liebe und schließlich um das große Ganze. Und immer wieder zeigt sich, dass auch kleinste Anflüge von Zuversicht seiner näheren Betrachtung nicht standhalten.

So schätzt er seine finanziellen Möglichkeiten zunächst als "so mittel" ein, vielleicht auch ein bisschen schlechter. Doch von Satz zu Satz wird sein Geld weniger - und irgendwann tut sich, verbal, ein kratergroßes Loch an Schulden vor ihm und dem Publikum auf. Dieses erzählerische Prinzip der Vorlage bietet einigen Reiz und schrägen Humor. Doch mehr und mehr zeigt sich, dass PeterLicht, der einst mit dem heiteren Popsong "Sonnendeck" bekannt wurde, seine Sache in diesem Fall durchaus ernst meint.
Die Figur des souverän agierenden Moorbach gerät hier in einen dunklen Strom an Energie - und damit immer weiter ins Trudeln. Und schon, wenn der Erzähler über sein vermeintlich bequemes Sofa räsoniert, auf dem das Sitzen, wie sich bald darauf herausstellt, überhaupt nicht möglich ist, weil es völlig ramponiert ist, kippt der Witz ins Bitterböse. Untermalt von dem Musiker Sascha Bendiks, der für das Publikum kaum sichtbar hinter dem Erzähler in einer Art Kabine sitzt, und mit Gitarre und elektronischem Equipment fantastische Noise-Geräusche beisteuert. Auch die zerren zunehmend an den Nerven.

Jurorin Iris Radisch befand damals beim Bachmannpreis, der Text lasse "spüren, auf wie wackeligen Beinen unsere schöne, spätmoderne Welt steht". Eine ähnliche Wirkung darf auch diese Gießener Inszenierung für sich beanspruchen.


Björn Gauges, 06.09.2021, Gießener Anzeiger