Drei Hamlets in der Datenbank - Gießener Allgemeine Zeitung
01.11.2021

Fünf auch formal unterschiedliche Textfragmente und der Bezug auf Schlüsselszenen und Figuren aus Shakespeares »Hamlet« sowie Theaterfragen und Geschichtsthemen machen Heiner Müllers »Hamletmaschine« zu einer Herausforderung für Regie und Publikum. Patrick Schimanski bastelt daraus für die taT-Studiobühne eine Multimedia-Umsetzung im Format eines Live-Hörspiels.

Kopfkino zum Nachdenken und Rätseln.

An der Figur des Hamlet interessierte Heiner Müller das stellvertretende »Versagen von Intellektuellen in bestimmten historischen Phasen«. Parallel zu seiner Übersetzungsarbeit des Shakespeareschen Dramas hatte er Ende der 1970er Jahre seine »Hamletmaschine« geschrieben, baute Anspielungen auf seine DDR-Biografie, literarische Texte und den Kalten Krieg ein. An dem Urtext des postdramatischen Theaters arbeiten sich seitdem immer wieder Intellektuelle ab, zumal das assoziative Geflecht aus Monologien und die Motivfülle viel Raum für Interpretationen lassen. Nun hat Patrick Schimanski sich der neunseitigen Textvorlage angenommen und inszeniert sie als multimediales Live-Hörspiel auf der taT-Studiobühne - mit den drei Hamlet-Maschinistinnen Carolin Weber, Paula Schrötter und Johanna Malecki.

Schimanski konzentriert sich auf die Sprache Heiner Müllers. Die fünf Teile - vom »Familienalbum« mit seinen Verweisen auf »Hamlet« und das Schauspielen an sich über »Pest in Buda«, in dem sich der Held zwischen den Fronten des ungarischen Aufstands von 1956 wähnt, bis zu Ophelias Revolte, die die »Welt zwischen ihren Schenkeln erdrücken« möchte - ergänzt er durch live eingespielte Musik und Soundcollagen. Das Publikum hört über Kopfhörer zu, was anfangs für reichlich Konfusion im Kopf sorgt. Die Stimmen der drei Maschinistinnen erklingen parallel zu den von Timo Hagmann/Matthias Umbach und Patrick Schimanski an Keyboard und Mischpult erzeugten Klängen. Der Blick fällt auf die von Thomas Döll als Tonstudio entworfene Bühne und die als Triptychon angeordneten Videos mit Avataren der Schauspielerinnen und durch künstliche Intelligenz erstellte Szenarien. Die anfängliche Überforderung weicht aber schon bald der Konzentration auf das gesprochene Wort. Die in grau-unterkühlter »Kraftwerk«-Optik gekleideten Maschinistinnen treten immer wieder aus ihrer Rolle heraus, machen das Schauspielen zum Thema, raunen Ophelias Klage ins Mikrofon, prangern die Unterdrückung der Frau, Terror und die Selbstzerstörung der Welt an. Politisches und Privates, Alt und Jung, Verständnis und Abscheu - hier prallt es auf einander. Die »Maschine« wird zum Computer, die Vorlage zum alle Sinne ansprechenden Ereignis. Weniger rätselhaft und sperrig wird Müllers Text dadurch allerdings nicht. Doch es gibt eben Aufgaben, die nahezu unlösbar sind.


Karola Schepp, 01.11.2021, Gießener Allgemeine Zeitung