Egomanie und Endlichkeit - Gießener Allgemeine Zeitung
18.06.2022

Wer beim Museumsbesuch unverhofft der eigenen Wachsfigur gegenübersteht, der kann schon mal verwirrt sein. David Moorbach zeigt in seinem Soloabend »Ichichich« im taT, wie tragisch solch eine Begegnung sein kann - und wie folgenschwer die Sucht nach Ruhm und Anerkennung.

Ob es den ViPs dieser Welt auch so ergeht, wenn sie im Wachsfigurenkabinett ihrem Ebenbild gegenüber stehen? David Moorbach zeigt zumindest in seinem Soloabend »Ichichich« in der taT-Studiobühne, wie sehr eine solche Begegnung, noch dazu völlig unverhofft an einem »Allerweltstag«, einen »Allerweltsmenschen« aus der Bahn werfen kann. Das Monodrama aus der Feder von Marc Becker, inszeniert von Moorbachs Schauspielkollege Lukas T. Goldbach, hatte am Donnerstag Uraufführung und ist nur noch zweimal, am 23. Juni und 8. Juli, dort zu sehen.

Durch ein Ringlicht blickend beginnt der namenlose Ich-Erzähler mit seinem Monolog. Er erzählt, wie er sich unerwartet selbst im Museum gegenüberstand. Der eigentlich unscheinbare Angestellte fühlt sich geschmeichelt, aber auch verunsichert und beginnt sogleich mit der Selbstoptimierung. Das schüttere Haar mit einem Toupet bedecken, die Zähne bleachen, das Gesicht mit Make-up verzieren - das gehört für ihn dazu, schließlich verpflichtet der ungeahnte Schub in scheinbare Prominenz den Allerweltstypen zur bestmöglichen Variante des eigegenen Ichs - was auch immer man darunter versteht.

Doch schon bald kreisen seine Gedanken nur noch um sich selbst. Hinter jedem Mitmenschen vermutet er einen aufdringlichen Fan oder Nachahmer. Die Kollegin wird bei einer Liebelei zur »Ichbeziehungspartnerin« degradiert, die Erinnerung des Mannes an sein früheres Selbst zersplittert in »Ich-Bruchstücke« und die Vorstellung, nicht als jemand Besonderes ausgestellt worden zu sein, sondern nur als Prototyp eines Durchschnittsmenschen wird für ihn zur Horrorvorstellung. Am Ende soll die Erfindung einer neuen Identität, mit allen Schikanen, die man im Computerzeitalter nutzen kann, Erlösung bringen. Doch weit gefehlt.

Moorbach zelebriert die egomanische Nabelschau mit großer Wucht und viel Spaß am Exzess. Seine Parabel auf den Narzissmus unserer Zeit und die Sucht nach Berühmtheit(en) ohne wirkliche Substanz ist bitterböse entlarvend und packend anzuschauen. Der Generation Selfie hält er schonungslos den Spiegel vor. Mit Karaoke-Maschine und Laserlicht feiert Moorbach die ungeahnten Showmomente seines Protagonisten, singt wie Freddy Mercury »I want to break free« oder wie Lou Reed vom angeblichen »Perfect day«. Er schmeisst sich im Anzug in Schale oder mit Wumms auf den Bürostuhl. Und ist doch am Ende ein ganz armer Wicht, weil er nur noch an sich und das, was die Anderen von ihm halten, denkt. Er bleibt einsam - so wie es heute wohl viele sind.

Schade, dass für David Moorbach mit diesem Soloabend sein Engagement im Schauspielensemble des Stadttheaters endet. Mit großer Bühnenpräsenz, komödiantischem Talent und körperbetontem Spiel hat er beim Publikum in den vergangenen Jahren immer wieder bleibende Eindrücke hinterlassen - auch ohne, dass ihm zu Ehren nun eine Wachsfigur aufgestellt wird.


Karola Schepp, 18.06.2022, Gießener Allgemeine Zeitung