Kurzer Blick in die Seele - Gießener Allgemeine Zeitung
17.06.2022

Georg Friedrich Händel trifft auf Quincy Jones. Der »Messias« steht dabei im Mittelpunkt. Das Cross-over-Projekt im Stadttheater zündet erst am Schluss.

Es groovt im Großen Haus. Soul, Jazz und Spirituals machen’s möglich. Dazwischen klingt der Abend barock und erhaben. Die zwei Tonsprachen sollen Gemeinsamkeiten, aber auch Wechselwirkungen aufzeigen, um sich zu einem Kunstwerk zu ergänzen. Georg Friedrich Händels »Messias«-Oratorium aus dem Jahr 1742 trifft auf Quincy Jones und dessen »Messias«-Album »A Soulful Celebration« von 1992.

Dirigent Jan Hoffmann hat sein Cross-over-Projekt im Stadttheater als Sinfoniekonzert platziert, so wie immer, wenn er seine Chöre mit dem Philharmonischen Orchester Gießen vereint. Nur geht er diesmal einen Schritt weiter.

Neben den Musikern, dem Opernchor des Stadttheaters, dem Gießener Konzertverein und der Wetzlarer Singakademie ist auch eine Band unter der Leitung von Thomas Gabriel zu hören. Am Dienstag startete das opulente Ereignis in die erste von drei Runden. Dafür gab es vom Publikum am Ende epischen Applaus.

Hoffmanns »Messias« umfasst 25 Titel, gut 60 Minuten gehören den Auszügen aus dem Oratorium, eine halbe Stunde vibriert der Saal mithilfe des Soul. Doch mit dem Vibrieren ist das so eine Sache.

Betörender Mezzosopran

Davon könnte Simon Zimbardo am Schlagzeug ein Lied singen. Wegen der Lautstärke darf er sein Instrument nur mit gebremstem Schaum bedienen. Dafür legt sich Stefan Weilmünster am Saxofon ins Zeug. Die beiden Soul-Sänger Annika Klar und Louis Grote leihen Quincy Jones ihre Stimme. Klar kommt der Vorlage am nächsten. Doch in Sachen Substanz bleibt der Blick in die Seele kurz.

Beim Original-Händel betört der Mezzosopran von Charlotte Quadt-Kohlhepp. Sie verleiht der Alt-Partie eine makellose Schönheit. Hausbariton Grga Peroš steigt als Bass hinab in tiefste Tiefen. Sopranistin Naroa Intxausti hat während der Corona-Zwangspause ihre Koloraturen nicht verlernt.

In der zweiten Konzerthälfte gelingt es Hoffmann, die Stücke passgenauer miteinander zu verweben. Beim finalen »Hallelujah« im Tutti kommt endlich Stimmung auf.

Als traute er dem eigenen musikalischen Ansatz nicht, setzt der Dirigent von Beginn an auf eine Illustration. Tänzerin Magdalena Stoyanova sorgt für Bewegung.

Sie schleicht durchs Orchester und die Chöre, zirkuliert am Bühnenrand und wagt mit Hoffmann ein Tänzchen, während die Band spielt und der Dirigent gerade Pause hat. Vom knappen roten Abendkleid wechselt sie in schwarze Kostüme und lenkt die Blicke auf sich. Im Programmheft wird Stoyanova mit keinem Wort erwähnt.

Zwei weitere Vorstellungen

Im Vergleich zu früheren Auftritten, etwa der »Carmina Burana« vor vier Jahren, ist ein merklicher Rückgang an Chorsängern zu verzeichnen. Der Grund dürfte in Pandemie-Zeiten die Sorge vor einer Ansteckung sein. Gleichwohl singen die Amateure und Profis in gewohnt sicherer Reinheit, auch wenn es den Männern etwas an Durchschlagskraft mangelt.

Das Konzert wird noch zweimal als Drei-Städte-Kooperation Wetzlar-Gießen-Frankfurt geboten. Dann ist auch die Frankfurter Singakademie mit von der Partie. Die Termine sind am morgigen Samstag, 18. Juni, um 20 Uhr in der Buderus-Arena sowie am Sonntag, 19. Juni, um 19 Uhr im Sendesaal des Hessischen Rundfunks in Frankfurt. In der Wetzlarer Halle wird der angestrebte Sound mit seinem Fusionsgedanken besser gelingen.


Manfred Merz, 17.06.2022, Gießener Allgemeine Zeitung