Lachen mit Falstaff - Gießener Allgemeine Zeitung
28.03.2022

In Shakespeares Heinrich-Dramen ist Falstaff die Gestalt, die als »comic relief« für »befreiende Komik« im tragischen Spiel sorgt. Andreas Marber macht aus ihm gleich eine Hauptfigur.

Dieser Mann ist eine Zumutung. Er säuft, pöbelt, beleidigt und versucht mit unsauberen Tricks, seine Haut zu retten. Aber der feiste Ritter Falstaff hat dennoch die Herzen der Theatergänger erobert - so sehr, dass er gleich in mehreren Shakespeare-Dramen als »comic relief«, also als Mann für befreiende Komik im ernsten Spiel, auftritt. Nun ist er nicht mehr nur Titelfigur von Opern, sondern eines Lustspiels. In »Falstaff« zieht Dramatiker Andreas Marber inhaltlich den Stoff der Heinrich-Dramen zusammen, stellt Falstaff aber als vulgären Straßenräuber ins Zentrum.

Die vom Publikum wohlwollend aufgenommene Uraufführung am Samstag im Großen Haus des Stadttheaters - in Anwesenheit des Dramatikers - inszeniert Malte C. Lachmann als Parabel auf toxische Männlichkeit zwischen Farce und Tragödie und auf der von Kathrin Krumbein als Melange aus Zirkusmanege und Truppenübungsplatz gestalteten Bühne. Dieser Kunstkniff ist auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig, bietet aber mit Karussell, Zirkuskapelle und irrwitzigen Kostümierungen nicht nur viel fürs Auge. In der Manege wird Falstaff endgültig zum Clown und seine Gefährten zu Witzfiguren mit albernen Macken. Echte Männer sollten anders sein.

Höfische Musik und deftige Sprache

Marbers Sprache ist deftig und voller Wortneuschöpfungen. Wenn Falstaff und Prinz Heinrich - die nicht nur ein Lotterleben, sondern auch das Bett miteinander teilen - nach anfänglicher Pantomime zu höfischer Musik ihr Dauerfeuer an Kosenamen und Beleidungungen eröffnen, sollte das Publikum nicht zimperlich sein. Die »fehlgefickte Majestät« und der »Lügenfurzer« sind eben beide vulgäre Zerrbilder in einer Männerwelt voller grotesker Rituale und Gerangel um Hierarchien. Wie kann ich den anderen austricksen? Wie kann ich mich selbst ins beste Licht rücken? Wie kann ich die Konkurrenz fertig machen? Für Prinz Heinrich und Falstaff ist Mäßigung dabei keine Option.

Tom Wild gelingt als Fal-staff, dank ungebremster Spielfreude und seinem Gespür für Komik, dennoch das Kunststück, den rücksichtslosen Maulhelden und fiesen Trunkenbold nicht nur als derb-unterhaltsame Figur, sondern auch als (zuweilen) verletzliches Wesen zu zeigen. Von seinem »Schatzi« Heinrich, lustvoll sadistisch gespielt von Pascal Thomas, lässt sich der zunächst bei einem Überfall übertölpeln und sucht dann im Krieg gegen die rebellierenden Schotten nur seinen eigenen Vorteil. Um am Ende, als Prinz Heinrich zum König gekrönt wird, von diesem gnadenlos fallen gelassen zu werden.

Da macht das Zuschauen großen Spaß. Fast schon könnte man die Figur mit dem Mühlradkragen und der riesigen Wampe ein bisschen lieb haben, würde Falstaff nicht alle in seinem Umfeld beleidigen und belügen. Aber er selbst ist eben auch Ziel von Hohn und Spott: zu fett, zu unbeweglich, zu unwichtig.

»Bist Du ein Mann oder eine Wampe?«, fragt Heinrich Falstaff provozierend. Und weil der Prinz als furchteinflößender »Prince of Darkness« auftritt, möchte man nicht in Falstaffs Haut stecken. Der vergnügungssüchtige Heinrich ist eben auch kein Männervorbild, sondern im Grunde nur ein trotziger Jüngling, der sich schmollend aufs Sofa wirft, als ihn der von Falstaff imitierte Vater an seine royalen Pflichten erinnert. Und er holt sich ohne jedes Gefühl den albernen Ned (Lukas Goldbach als dauerquietschender Spaßvogel) an seine Seite, nachdem er Falstaff endgültig überdrüssig geworden ist.

Dicke Wampe und Prince of Darkness

Regisseur Malte C. Lachmann inszeniert »Falstaff« auf einem schmalen Grad zwischen Klamauk und Komik. Zwischen Karrussellpferden und Zielscheibenfiguren führt er vor, was falsch verstandene Männlichkeit anrichtet - und darüber darf kräftig gelacht werden.

Da hat sogar die von Anne-Elise Minetti gespielte Wirtin Quickie (der Name versteht sich als sexistischer Seitenhieb) Haare am Kinn und auf den Zähnen und karikiert mit ihrem ruppigen Auftreten das falsch verstandene Bild von wahrer Männlichkeit. Stephan Hirschpointner prostituiert sich herrlich überzeichnet als auf Stelzen laufender Kevin und von Übelkeit geplagte »Servicekraft« Dolly. Und David Moorbach bringt als Dumpfbacke Bardolf bei all den fiesen Sprüchen über seine rote »Schwanznase« die Worte nur nach einem Schlag auf den Kopf heraus. Endgültig lächerlich wird es, als beim Aufstand der Schotten der Kampf der ach so edlen Recken nicht mit Schwertern, sondern mit leeren Wasserflaschen ausgetragen wird.

Auch der Musik kommt eine tragende Rolle zu. Unter der musikalischen Leitung von Marcel Rudert spielt ein Trio (neben Rudert auch noch Patricia Pinheiro und Aleksander Zhibaj) höfische wie modern unterhaltende Musik im Graben der Manege. Gitarre, Snare Drum, Irische Bouzuki, Oboe, Englischhorn und Cello sind das akustische Pendant zum Klamauk auf der Bühne.

Und dann wird es bei all dem Spaß doch noch für einen kurzen Moment fast unmerklich ernst, als zu Heinrichs Krönung auf dem Zirkuszebra die Jubelnden mit blau-weiß-roter Flagge und gelb-blauem Gewand auf Frieden hoffen. Putins Krieg gegen die Ukraine, der aktuell das Lachen so erschwert, ist eben auch ein mahnendes Beispiel, wie toxisch männliche Allmachtsfantasien sein können.


Karola Schepp, 28.03.2022, Gießener Allgemeine Zeitung