Monolog eines Enttäuschten - Wetzlarer Neue Zeitung
19.12.2017

„Tauscht jemand seinen Namen mit mir?“ Die Frage scheint überflüssig, wenn man Judas heißt. Oder ein Judas ist. Und schon gar nicht an einem Ort wie der evangelischen Pankratiuskapelle, wo das Stück des Stadttheaters Premiere hatte.

Judas ist eben nicht einfach ein Vorname, sondern das Symbolwort für Verräter. Seitdem dieser Jünger Geld angenommen hat, um seinen Anführer Jesus Christus mit einem Kuss zu verraten.

Andererseits war der Verrat nötig, um den weiteren Verlauf der Geschichte zu garantieren. Denn wenn Jesus nicht verraten und verhaftet worden wäre, dann wäre er nicht verurteilt und am Kreuz hingerichtet worden. So das Gedankenspiel. Dann gäbe es womöglich kein Christentum. Und keine Kirchen, in denen Menschen zum Kreuz beten, dem Symbol von Christi Leiden und den Glauben an die Auferstehung.

Über die Figur Judas haben viele nachgedacht. Die flämische Autorin Lot Vekemans hat es auf das menschliche Maß heruntergebrochen. In ihrem Monolog begegnet uns nicht das Verrätermonstrum, sondern der enttäuschte Anhänger eines Anführers, der das Zeug zum König der Juden hatte. Aber am Ende, beim letzten Weg nach Jerusalem, immer verzagter und kleinlauter wurde. „Warum hat er sich nicht gewehrt?“

Judas hadert mit dem Verlauf der Geschichte. Und er nimmt die Schuld auf sich, begeht in diesem Theaterstück Selbstmord.

Das Stadttheater hat sich in dieser Spielzeit das Motto THEATER TRIFFT STADT gegeben, was bedeutet, es wird an anderen Orten gespielt. Die evangelische Pankratiuskapelle hat sich längst zum beliebten Veranstaltungsort entwickelt, es bot sich an, ein Stück zum christlichen Glauben hier aufzuführen.

Regie führt der Schauspieler und Musiker Christian Lugerth, Darsteller ist Pascal Thomas, der in Christian Keul an der Orgel einen Anspielpartner hat.

Die meiste Zeit über ist der Kirchenraum erhellt, nur in besonderen Momenten wird mit fokussierendem Licht inszeniert, etwa auf der Empore beim Segengestus oder vor dem Altar mit Handscheinwerfer unterm kapuzenbedeckten Gesicht.

55 Minuten Konzentration auf einen komplexen Text, den Thomas mit großer Natürlichkeit spielt, dabei immer wieder die Zuschauer direkt anschaut und einbezieht. Wer war hier unehrlich und hat seinen Eintritt nicht bezahlt? Freiwillig meldet sich niemand.

Das Premierenpublikum applaudierte begeistert und diskutierte im Anschluss heftig weiter. So soll Theater sein: Denkanstöße geben.


Dagmar Klein, 19.12.2017, Wetzlarer Neue Zeitung