Statement für den Frieden - Gießener Allgemeine Zeitung
10.03.2022

Das Sinfoniekonzert im Stadttheater lässt aufhorchen. Bei einem Antikriegsstück heulen die Sirenen. Auf der Geige begeistert Maria-Elisabeth Lott mit Beethoven. Das Orchester mit Reger.

Es herrscht Krieg. Florian Ludwig hat ein Statement für den Frieden im Repertoire. Nach der Pause spielt der Generalmusikdirektor mit dem Philharmonischen Orchester Gießen gegen die Armee der Russen in der Ukraine an und im Gedenken an die Menschen dort das Stück »Ukraina - den Opfern des Krieges«.

Komponiert hat es der gebürtige Ukrainer Eduard Resatsch direkt nach Kriegsausbruch. Seine Familie lebt in dem erschütterten Land. Resatsch musiziert bei den Bamberger Symphonikern und ist als Tonsetzer etabliert.

Sein viereinhalbminütiges Werk wirkt fragil und im Wortsinn bombastisch zugleich. Sirenengeheul lässt die Angst der Menschen vor unerbittlichen Angriffen spürbar werden. Resatsch webt schnipselartig Freiheitsmelodien ein, etwa Beethovens »Ode an die Freude«, und kulminiert in starken Dissonanzen.

Das Publikum applaudiert mit Standing Ovations. Auch die Musiker erheben sich. Sie stammen aus zwanzig Nationen. In ihren Gesichtern spiegelt sich Anteilnahme. Und Furcht.

Den Auftakt beim Sinfoniekonzert im Großen Haus des Stadttheaters lieferte am Dienstag Alois Bröder. Bereits vor anderthalb Jahren war der Darmstädter Komponist zu Gast mit seinen »Sept nouvelles variations«. Diesmal kommen seine früheren »Sept variations« aus den Jahren 1998/99 zum Tragen. Sieben Türen von Schubert bis Debussy hat er hier geöffnet, um ihnen eigene Klänge abzulauschen. »Es sind zu sich selbst gekommene Augenblicke«, sagt Bröder.

Tatsächlich gelingt es Ludwig mit seinem Orchester, diesen Augenblicken, die unter anderem auf die Dehnung der ursprünglichen Notierung setzen, eine eigene Lesart, oder besser: Hörart abzutrotzen. Dafür gibt es für die Instrumentalisten und den anwesenden Komponisten Applaus.

Zum Höhepunkt des Abends wird das Konzert für Violine und Orchester D-Dur von Ludwig van Beethoven aus dem Jahr 1806. Als Solistin ist das einstige Geigen-Wunderkind Maria-Elisabeth Lott zu Gast. Bereits mit 14 spielte die Baden-Württembergerin auf ihrer ersten Leih-Stradivari.

Aufbrausende Solokadenzen

Heute gilt die 34-Jährige als eine der Besten ihres Fachs. Im Programmheft zum Konzert findet sich als Foto der blonden Geigerin kurioserweise das einer brünetten Schönheit. Es handelt sich um Koloratursopranistin Gloria Rehm vom vergangenen Sinfoniekonzert.

Mit Verve, Anmut und lupenreiner Technik nimmt Lott die drei Beethoven-Sätze in Angriff. Besonders in den Solokadenzen zeigt sie aufbrausendes Können. Dafür erhält die Künstlerin tosenden Applaus, den sie mit einer Zugabe belohnt: dem 1. Satz aus der 1. Solosonate von Bach.

Zum Abschluss Max Reger und seine 1912 uraufgeführte »Romantische Suite«. Das dreisätzige Werk lässt den Kontrapunktiker in einem spätromantischen Licht erscheinen und strotzt nur so vor Emotionen. Mit dem Titel »Emotional« hat Ludwig das Konzert ohnehin überschrieben. Die Musiker nehmen es wörtlich und tauchen tief ein in die Materie. Sie haben danach nur noch einen Wunsch: den nach Frieden.


Manfred Merz, 10.03.2022, Gießener Allgemeine Zeitung