Tiere, Menschen, Experimente - Gießener Anzeiger
17.01.2022

Bulgakows Erzählung »Das hündische Herz« als heitere Groteske im Stadttheater.

Der Mensch träumt schon immer davon, Gott zu spielen und Kreaturen nach seinen eigenen Vorstellungen zu erschaffen. Aus Lehm geknetete Golem-Wesen in Mittelalter-Mysterien, Goethes Homunculus im »Faust« und Frankensteins trauriges Monster zeugen ebenso davon, wie ganz real genetisch veränderte Tiere, etwa das berühmte Klonschaf Dolly. Auch der Russe Michail Bulgakow (1891-1940) widmete sich dieser zeitlosen Idee, als er im Jahr 1925 seine Erzählung »Das hündische Herz« verfasste, die umgehend in den Archiven der sowjetischen Zensur verschwand und dort über Jahrzehnte liegenblieb, bis sie in den 80ern erstmals im Land veröffentlicht wurde. Nun ist die Geschichte im Großen Haus des Stadttheaters zu sehen: eine heitere, sehr unterhaltsame Groteske, die neben viel Witz auch manch subtile Anspielung enthält. Es geht um menschlichen Größenwahn, tierische Anhänglichkeit und optimierte wie selbstoptimierte Körper. Am Samstagabend feierte das Stück in der Inszenierung von Gastregisseur Wolfgang Hofmann Premiere.

Im Mittelpunkt steht ein Straßenhund (Lukas T. Goldbach), der sich im klirrend kalten Moskauer Winter durchschlagen muss. Das Tier ist gezeichnet von den Schlägen und Tritten mitleidloser Zeitgenossen, sein Fell ist blutdurchtränkt, das Gemüt dennoch gleichmütig bis sonnig. Noch besser wird seine Stimmung, als es die Bekanntschaft von Professor Preobraschenski (Roman Kurtz) macht, der es mit leckerer Wurst in seine Praxis lockt. Was der »Lumpi« getaufte Köter nicht weiß: Der Wissenschaftler plant, ihm Hypophyse und Hoden eines gerade gestorbenen Bettlers einzusetzen - um aus dem Tier einen Menschen zu machen.

Das mit überzeichneten, bisweilen absurden Elementen gespickte Werk Bulgakows lässt sich auf die damals noch ganz neue Idee von der Schaffung eines Sowjetmenschen lesen, den sich die Genossen Lenin und Stalin erträumten. Dieses Experiment ist bekanntlich längst gescheitert und aus Sicht eines heutigen Theaterpublikums nur noch von nachrangigem Interesse. Aber Wolfgang Hofmann und sein Regieteam haben dem Stück eine andere, daueraktuelle Lesart eingezogen: die der menschlichen Hybris.

Dazu dient ihnen eine sehr elegante Bühne (Lars Peter), auf der permanent zwei Drehscheiben kreiseln und die Straßenszenen mit Einblicken in Praxis und Wohnräume des Arztes verbinden. Die sich öffnenden und schließenden Wände sorgen dafür, dass schnelle Szenenwechsel das Tempo der 90-minütigen Inszenierung dauerhaft hoch halten. Und auch die Schauspieler machen viel Spaß: Allen voran Goldbach, der sich dank kleiner, perfekt eingesetzter Gesten scheinbar mühelos in das Tier verwandelt. Mal schnüffelt er ein wenig, mal kratzt er sich die Flöhe aus dem Pelz - schon ist das sprechende Tier im grauen Pelzkostüm zu erkennen.

Roman Kurtz zeigt einen souveränen Gegenspieler. Er verkörpert den Typ einer bourgeoisen Elite, die sich gut mit den neuen Verhältnissen zu arrangieren weiß. Denn dieser Arzt ist ein Meister seiner Zunft, der Frauen mit Kinderwunsch die Gebärmutter eines Affen einpflanzt und sexbesessenen Männern den Penis in absurde Maße verlängert - und dafür ungerührt die Hand aufhält. Ein Mann mit großem Ego, aber ohne moralischen Kompass und ohne menschliche Bindung.

Den Hund zum Menschen zu machen, soll nun sein Meisterstück werden. Doch dann wächst ihm und seinen Assistenten (Pascal Thomas und Anne-Elise Minetti) die Sache über den Kopf. Und der Mensch mit hündischem Herz erweist sich als ebenso anhänglicher wie triebgesteuerter Geselle, der hemmungslos flucht und säuft, Katzen jagt und Frauen bespringt. So hat sich der Schöpfer seine Kreatur natürlich nicht vorgestellt.

Und dann sind da noch die Gegenspielerinnen des Professors: die drei Frauen von der Hausverwaltung. Sie sorgen für einen der schönsten Kniffe der Inszenierung. Wie ein antiker Chor sind diese puppenhaft geschminkten Vertreterinnen der neuen Ordnung (Carolin Weber, Vanessa Wirth, Paula Schrötter) unterwegs, um die Regeln des Systems durchzusetzen - nicht nur im roboterhaften Gleichschritt, sondern auch mit einer einzigen Stimme sprechend.

Eine weiterer überraschender Regieeinfall: Vier Bodybuilder (drei Männer und eine Frau), die zunächst in Daunenjacken und Fellstiefeln vor der Tür des Wissenschaftlers warten (um sich von ihm optimieren zu lassen?). Später zeigen sie dem Saalpublikum stumm ihre mächtigen Muskeln, während sich die Bühnenscheibe dreht - ein Verweis auf die allgegenwärtige Selbstoptimierung, die sich hier in gemeißelten Körpern zeigt.

Mancher Ansatz dieser Inszenierung hätte durchaus noch schärfer ausgespielt werden können. Die gesellschaftliche Rolle der Wissenschaft wird derzeit schließlich emotional debattiert. Dennoch sorgt »Das hündische Herz« für einen Theaterabend zwischen Gag und Farce, der nicht nur ausgezeichnet unterhält, sondern auch für manchen lohnenden Gedankenanstoß sorgt.


Björn Gauges, 17.01.2022, Gießener Anzeiger