Unterwegs zwischen Himmel und Erde - Gießener Anzeiger
31.12.2018

"Über den Himmel" wollte Carolin Weber sich zwischen den Jahren Gedanken machen - heraus kam dabei eine Art musikalisches Kabarett zwischen Clapton und Kästner, Hawkings und "Rammstein"

"Über den Himmel" wollte Schauspielerin Carolin Weber sich zwischen den Jahren Gedanken machen - keine schlechte Idee. Und eine gelungene Umsetzung: Das langjährige Ensemblemitglied des Stadttheaters Gießen legte zusammen mit seinem energischen Rockquartett im ausverkauften taT-Studiosaal eine knackige Sphärenreise aufs Parkett.

Das Prinzip des Abends: Interessante Texte und ebensolche Pop-Titel sollten in einen unterhaltsamen Verbund gebracht werden. Die Frontfrau wurde dabei von gestandenen Musikern, den "Flugbegleitern", unterstützt: Philipp Lampert (Bass), Florian Neuber (Klavier, Gitarren), Volker Seidler (Schlagzeug) und Karl-Heinz Weber (Gitarre) sorgten für ein differenziertes Klangfundament.

Carolin Weber ist keine Sängerin, kann jedoch glaubhaft Rock- oder Bluestitel interpretieren. Dazu hatte sie sich Gedanken von Erich Kästner bis Stephen Hawking herausgesucht und balancierte damit ein ewiges Menschheitsthema aus. Wo ist der Himmel überhaupt? Und wo Gott? Darum ging es in den Texten - gefunden wurden differenzierte und auch ironische Antworten.

Der Hauptspaß war jedoch die Musik, und die hatte es in sich. Zur Auswahl gehörten etwa Eric Claptons rührselige Ballade "Tears in heaven", die Carolin Weber gleich auf Deutsch gekonnt gefühlvoll entrührte. Auch Reinhard Meys "Über den Wolken" hatte man in dieser rockigen, apart emotionalen Fassung noch nicht gehört. Carolin Weber hat ein sehr gutes Gefühl für die Lieder, weiß mit ihrer Stimme umzugehen und besitzt als Schauspielerin natürlich ein solides Verständnis davon, wie man was spricht. Und die Band? Sorgte für einen tadellosen Sound, angefangen bei Volker Seidler am Schlagzeug, der eine engagierte Basis lieferte.

Inhaltlich ging es eher weniger transzendent zu, etwa mit einem Zitat des in diesem Jahr gestorbenen Physikers Stephen Hawking, der einmal gesagt hat, das All bedürfe keines Schöpfers. Eins der ersten Glanzlichter des Abends war dann "Der Choral vom großen Baal", in dem Elemente von David Bowies Musik und Text von Bert Brecht zu einem dramatischen Ganzen verschmolzen - richtig gut. Und so gut vorbereitet sich Carolin Weber zeigte, so taten es ihr die Musiker nach, inklusive stilistisch hochwertiger, Hendrix-ähnlicher Gitarrenriffs. Auch stark gerieten "Heaven's in the backseat of my Cadillac" ("Hot Chocolate") und gegen Ende Nick Caves "Red right hand", als krachender Rocker, der den Saal freudig erschütterte. Weber und ihre Band legten da noch ein Brikett drauf und ließen es emotional, gesanglich und beim Drive an nichts fehlen: geradezu rockamtlich. Und eine Kombination aus "Rammstein" und Annett Louisan muss man sich auch erstmal einfallen lassen: Weber überzeugte als Interpretin in jeder Hinsicht.

Alles in allem sorgte das Ensemble für eine stilistisch höchst abwechslungsreiche Varieté-Show mit literarischen Elementen und eine Art musikalisches Kabarett. Überraschend und erfreulich, welche Talente noch so alles in den Schauspiel-Profis stecken; man erinnere sich nur an Christian Lugerths Dylan-Projekt. Das Publikum, darunter viele Freunde und Sympathisanten, war am Ende jedenfalls komplett aus dem Häuschen.


Heiner Schultz, 31.12.2018, Gießener Anzeiger