Vergnügen mit Tiefgang - Gießener Allgemeine Zeitung
14.10.2019

Kann man ein Kind Adolphe nennen? Die Komödie »Der Vorname« ist nun auch im Gießener Stadttheater zu sehen. Das Publikum spendet bei der Premiere viel Beifall für eine Inszenierung mit Tempo und Wortwitz.

Echtes Theatervergnügen mit einem großartigen Schauspiel-Team konnten die Gießener am Samstagabend erleben. Zur Aufführung kam »Der Vorname«, eine 2010 uraufgeführte französische Gesellschaftskomödie von Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière, die bereits in einer französischen (2012) und einer deutschen (2018) Kinoverfilmung Erfolge feierte. Ein moderner Klassiker also, der von Intendantin Cathérine Miville für das Gießener Stadttheater in Szene gesetzt wurde.

Miville beruft sich auf die filmische Version mit Anpassung an deutsche Gesellschaftsverhältnisse und hat mit ihrem Team noch einige Gießener Zutaten beigegeben. Zum großen Vergnügen des Publikums. Das Lästern über SUV-Fahrer erfährt hier einen kleinen Höhepunkt, wenn das Erklimmen des Nahrungsbergs und das Überstehen von Wieseck-Hochwasser ganz beiläufig als zu bewältigende Aufgaben behauptet werden.

Peter (Roman Kurtz) ist hier Professor für französische Literatur an der Justus-Liebig-Universität und seine Frau Elisabeth (Carolin Weber) Französischlehrerin an der Schule Gleiberger Land. Die Kinder der beiden sind bei Freunden untergebracht, Elisabeth hat ein französisches Essen vorbereitet - mit dem Quiche-Rezept ihrer Mutter Renate, die per Telefon mit der Runde verbunden ist. Die Freunde aus Kindheitstagen trudeln nach und nach ein. Das sind Elisabeths Bruder Vincent (Tom Wild) und der gemeinsame Freund René (Lukas Goldbach), ein Musiker. Die vier sind wie Geschwister aufgewachsen, kennen sich gut und mögen sich im Grunde. Relativ neu in der Runde ist Vincents Lebensgefährtin Anna (Anne-Elise Minetti), die sichtbar schwanger ist.

Es soll nett und gemütlich werden. Die Frage, wie das Kind heißen soll, wird schnell zum Thema. Vincent, der Selfmademan, der gegenüber dem Literaturprofessor gern auf den Putz haut, verkündet, dass sein Sohn Adolphe heißen soll. Gemeint ist zwar nicht der politisch belastete deutsche Name Adolf, wie die anderen es zunächst verstehen, sondern der Name eines Romanciers. Es wird dennoch heftig diskutiert, ob das politisch korrekt ist oder nicht. Denn konsequent gedacht müsse man so einige Vornamen meiden, die durch einzelne Namensträger negativ besetzt sind.

Das wird im Stück argumentativ ausgebreitet, vor allem zwischen den Streithähnen Vincent und Peter, ist auch im Programmheft nachlesbar. Die Diskussion erfährt eine weitere Wendung, als die spät eintreffende Anna sich provoziert fühlt und über die Namen der Kinder von Elisabeth und Peter lästert: Fatma und Orhan, das sei doch akademisch-liberales Multikulti-Gewäsch. Erstaunlich, wieviel Enttäuschung und Ärger an einem solchen Thema hochkochen kann und in letzter Konsequenz noch andere Familiengeheimnisse ans alkoholgeschwängerte Licht bringt.

Die unterhaltsame Inszenierung fasziniert mit Tempo und Wortwitz, dargeboten von einem großartigen Schauspielteam, das über 90 Minuten Spielzeit nahezu authentisch wirkende Figuren auf die Bühne bringt. Was nur durchbrochen wird, wenn hin und wieder eine/r vortritt und dem Publikum zugewendet den Charakter einer anderen Person und deren Beziehungen untereinander erläutert.

Roman Kurtz ist der leicht schusselige Intellektuelle, der praktische Unterstützung von seiner Ehefrau braucht, die von Caroline Weber mit Wärme und Umsicht verkörpert wird. Vincent ist eine Paraderolle für Tom Wild: er ist im schnellen Wechsel angeberisch und aufbrausend, dann wieder schmollend und liebenswert. Anne-Elise Minetti gibt die selbstbewusste Designerin, die ihren eigenen Standpunkt in diesem Familienkonglomerat vehement behauptet. Und Lukas Goldbach als René ist zunächst der stille Beobachter, der sich konzentriert dem guten Essen widmet, aber am Ende zu einem Geständnis genötigt wird, das die Familie quasi auf den Kopf stellt. Die fünf agieren im Bühnenbild einer gutbürgerlichen, von Buchregalen dominierten Wohnung (Lukas Noll) und in sehr heutiger Kleidung (Monika Gora, Ya-Ting Chan).

Das Premierenpublikum applaudierte langanhaltend und voller Begeisterung. Die Inszenierung bietet Vergnügen mit Tiefgang und empfiehlt sich definitiv zum Theaterbesuch mit Freunden.


Dagmar Klein, 14.10.2019, Gießener Allgemeine Zeitung