Vom Dunkel ins Licht - Gießener Anzeiger
16.11.2021

Kammerkonzert mit Werken von Sergej Rachmaninoff und César Franck

Ein Musikerlebnis voller Emotion und Ausdruckskraft bescherten Viktoria Kastev (Violoncello), Ivan Krastev (Violine) und der Pianist Evgeni Ganev den Besuchern des Kammerkonzerts am Sonntagvormittag im Stadttheater. Leidenschaftliche Erregung prägte ihren ebenso stimmigen wie feinfühligen Vortag in ausgewählten Werken der Spätromantik von Sergej Rachmaninoff und César Franck, und das Publikum dankte für die bewegende Darbietungen mit überaus herzlichem Beifall.

Mit welchen Perlen Rachmaninoff die Kammermusik bereichert hat, zeigte sich gleich zu Beginn im Trio élégiaque Nr. 1 g-Moll, das er mit 18 Jahren komponierte und das bereits von seiner melodischen Erfindungsgabe, der Klarheit der Form und der reichen Palette an instrumentalen Farben zeugt. Auch erscheint es nur zu verständlich, dass das Klavier, Rachmaninoffs eigenes Instrument, in diesem einsätzigen Frühwerk, das sich in der Hauptsache um ein stets wiederkehrendes Thema entspinnt, die Führungsrolle übernimmt, während Violine und Cello weniger wirkungsvoll hervortreten. Mit spielerischer Souveränität griff Evgeni Ganev die ihm zugefallene Rolle dankbar auf, trumpfte aber mit seinem Part nicht allzu sehr auf, damit auch Violine und Cello zu ihrem Recht kamen.
César Franck, ein Meister der Orgel, hat mit der Violinsonate A-Dur eines der schönsten Werke der Gattung geschrieben, das kunstvolle Form mit Sinnlichkeit verbindet. Raffinesse trifft auf Leidenschaftlichkeit, Kontrapunkt auf fließende Melodien und spätromantische Harmonik. In ihrem spannungsgeladenen Dialog gelang den beiden Interpreten der schwierige Spagat zwischen klarer Form und brodelndem Inhalt. Eng verzahnt mit dem Klavier strahlte die von Ivan Krastev gespielte Geige sowohl Energie als auch Zartheit aus und erwies sich in jedem Augenblick als ebenbürtiger Partner. In den rasanten, halsbrecherischen Läufen, im fortwährenden Bedrängen und Entfesseln der Energien steigerte sich das Spiel zu dichtem, packendem Musizieren.

Als Höhepunkt des Vormittags erklang zum Abschluss Rachmaninoffs Cellosonate g-Moll op. 19. Sie ist voll melodischem und harmonischem Reichtum und war ein Geschenk für den Arzt und Hypnotiseur Nikolai Dahl, der den Komponisten nach einer längeren Depression aus einer tiefen Schaffenskrise befreit hatte. Nach der Behandlung kehrten Inspiration und Lebensmut zurück, und so führt auch die Sonate vom Dunkel ins Licht; aus düsteren Anfangstakten schwingt sich die Musik zu einem furiosen Abschluss empor. Viktoria Krastev und Evgeni Ganev kosteten mit schwelgerisch-leidenschaftlichem Gestus die expressiven Momente der Partitur genießerisch aus. Und da Virtuosität hier nie Selbstzweck war, ließ die Cellisten ihr Instrument beim Schürfen in emotionalen Tiefen wunderschön „singen“, während das Klavier nicht minder gefühlvoll perlte. Das Spiel der Beiden gipfelte im Andante, bei dem die Stimmen sozusagen auf einer Gefühlsebene miteinander verschmolzen: ergreifend schön!


Thomas Schmitz-Albohn, 16.11.2021, Gießener Anzeiger